Das gruene Zelt
ihresgleichen. Das wurde gern gesehen. Eine eigene Karriere machte keine von ihnen, aber eine gut ausgebildete Ehefrau war für jeden Diplomaten ein Plus.
Lena war begehrt, die besten Jungen des Studienjahres liefen ihr nach, auch manche von höheren Jahrgängen. Ihr Vater scherzte: Bei euch ist es wie bei den Popen, ohne Ehe keine Weihe. Und tatsächlich bekamen solche Ehepaare sehr gute Stellen.
Ihr Vater war überhaupt ein kluger, fröhlicher und schöner Mann. Die Mutter stand ihm in allem nach. Bis auf die Körpergröße. Igor Wladimirowitsch sagte deshalb immer, er habe Ninotschka zwecks Verbesserung seiner Gene geheiratet, weil er große Söhne haben wollte, aber sie habe nur Mädchen geboren. Was sollten die mit einer solchen Größe – wenn sie wenigstens Basketball gespielt hätten!
Beide Mädchen überragten ihn um einen halben Kopf, und ihre Schuhe waren zwei Nummern größer als seine. Sie liebten ihren Vater abgöttisch. Mit ihm war es interessant. Wovon auch die Rede war, er kannte sich in allem aus, ob Geschichte, Geographie oder Literatur. Ihre häusliche Bibliothek sah aus wie die eines Universitätsprofessors. Er selbst war zwar keiner, aber der Großvater war Professor gewesen, hatte an der Kasaner Universität römisches Recht gelehrt in jenen vorsintflutlichen Zeiten, als es noch keinen Marxismus-Leninismus gab und der Begründer der zweiten Begriffshälfte dieser künftigen Wissenschaft im Hörsaal vor dem Professor saß und sich wenig für das Fach interessierte.
Igor Wladimirowitsch beschwor seine Töchter immer: Ihr müsst lernen, gebildete Menschen haben ein interessanteres Leben als ungebildete.
Er führte sie zu den Bücherregalen und tippte mit dem Finger auf einzelne Bände.
»Wenn ihr das nicht lesen könnt, merkt euch wenigstens die Buchrücken: Aristoteles, Platon, Plutarch. Du, Ira, kriegst in der Universität ja wenigstens einiges beigebracht, aber du, Lenotschka, lies ruhig hin und wieder ein Buch, das kann nicht schaden …«
Lena und Ira ließen den Blick zerstreut über die kostbaren Bücher gleiten, sie wussten von klein auf, wo was stand.
Es waren alte schwedische Bücherschränke, unten geschlossen, mit hochklappbaren Glastüren. Unten hatte der Vater besondere Bücher stehen – auf Russisch, aber im Ausland gedruckt; die brachte er von der Arbeit mit.
Lena interessierte sich absolut nicht dafür, aber Ira als Literaturstudentin griff ab und zu nach einem dieser Bände. Darunter war viel Interessantes, das man in keiner Bibliothek fand: Gumiljow, Achmatowa, Zwetajewa, Mandelstam.
Und diese Bücher waren es, die Iras Status an der Universität veränderten. All diese Dichter, die in ihrer Heimat seit langem nicht verlegt worden waren, erwiesen sich als sicherer Köder, auf den alle anbissen. Später nahm sie auch andere Bücher von den geheimen Regalen des Vaters mit, aber immer nur eins. Ihrem Vater sagte sie davon natürlich nichts. Übrigens liebte er selbst diese seltene Poesie sehr und kannte vieles davon auswendig.
Iras Ansehen stieg, und sie verhielt sich klug, offenbarte nicht den ganzen Reichtum auf einmal, sondern fütterte die Interessenten mit kleinen Portionen. Sie kam in die Raucherecke mit gefährlichen Raritäten und seltenen Kostbarkeiten – alles im Ausland erschienen, nagelneu. Überwiegend Bücher aus dem Verlag IMKA - Press. So stieß Olga zum ersten Mal auf den Namen Berdjajew, aber zu der Zeit bevorzugte sie die Lyrik. Einmal lieh sie sich von Ira einen Band Chodassewitsch und verschüttete darauf versehentlich Kaffee; auf dem Umschlag entstand ein Bild: ein Baum und ein Weg – direkt eine Einladung zum Wahrsagen. Olga war entsetzt, erschrocken, aber Ira zuckte nur mit die Achseln: Mach dir keinen Kopf!
Dann kam der erste Nabokov nach Russland. Einladung zur Enthauptung . Alle, die »dazugehörten«, lasen den Roman. Erschütternd. Ein zerfleddertes Büchlein, 1936 auf Russisch in Berlin erschienen. Auf dem Vorsatzblatt eine Widmung auf Deutsch: »Dem lieben Edwin zum Geburtstag. Anna«. Bei der Verhaftung beschlagnahmt bei einem deutschen Juden, der in den dreißiger Jahren aus Deutschland nach Russland emigriert war. Der erwähnte Edwin lernte mit diesem Buch Russisch – die deutsche Übersetzung einzelner Wörter stand am Rand. General Troizki hatte dieses Buch von einem Freund geschenkt bekommen, ebenfalls zum Geburtstag, aber viele Jahre später. Das Schicksal beschlagnahmter Bücher war unterschiedlich, manche wurden vernichtet,
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