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Das gruene Zelt

Das gruene Zelt

Titel: Das gruene Zelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ljudmila Ulitzkaja
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doch keine Rolle. Beschluss ist Beschluss, den Stempel setzen wir noch drunter, keine Sorge.«
    »Setzen Sie erst den Stempel drunter, und dann kommen Sie wieder«, entgegnete Boris Muratow frech.
    »Ich an Ihrer Stelle … wäre ein bisschen höflicher. Sie sollten sich lieber nicht mit uns anlegen. Kommen Sie, behindern Sie unsere Arbeit nicht …« Er schob sich weiter in die Wohnung, Siwzew folgte ihm. Jemeljanenko stand in dem winzigen Flur – die Wohnungstür und das große Zimmer im Blick.
    »Einen Moment«, sagte Boris Iwanowitsch und ging in das kleine Zimmer.
    Die übliche Zweizimmerwohnung: Flur, kleine Diele, kleiner Wandverschlag, vollgestopft mit Sachen. Hauptmann Popow hatte schon viele solche Wohnungen gesehen.
    Er blockierte die Tür. Muratow war rot angelaufen, er schob den Hauptmann beiseite und kramte im obersten Schreibtischfach. Popow war wütend. Muratow hatte leider recht. Der Durchsuchungsbeschluss war strenggenommen ungültig.
    Aber eine Niederlage konnte der Hauptmann nicht eingestehen, er brüllte:
    »Hände weg von den Schubfächern! Die sehen wir uns gleich an.«
    Doch Muratow hatte das Gesuchte offenbar sofort gefunden. Er entfaltete ein Blatt festes, gelbliches Papier mit rotem Amtsbriefkopf und dem Profil des »Größten aller Völker«.
    »Ehrenurkunde«.
    Der Maler hielt dem Hauptmann das Papier direkt unter die Nase, so dicht, dass der nichts erkennen konnte.
    Popow bekam erneut Kopfschmerzen.
    »Was erlauben Sie sich?«
    Muratows Frau, sehr blass, die Augen leuchtend blau, sah ihren Mann flehend an, doch seine Schwiegermutter Maria Nikolajewna schenkte ungerührt Tee ein.
    Jetzt hielt Boris Iwanowitsch dem Hauptmann das Papier in vernünftigem Abstand hin, so dass er es lesen, aber nicht danach greifen konnte.
    »Das behalte ich in der Hand.«
    Der Hauptmann las. Der Hauptmann begriff. Der Hauptmann ging und nahm seine Mannschaft mit. Ohne ein Wort.
    Muratow warf die rettende Urkunde in die Ecke.
    Mit geschmeidigen Bewegungen stellte Maria Nikolajewna ihrem Schwiegersohn eine Teetasse und einen Teller mit Broten hin.
    Muratow liebte seine Schwiegermutter, er erkannte in ihr seine Frau wieder, nur dass Maria Nikolajewna resoluter war. Und in seiner Frau Natascha sah er Züge seiner Schwiegermutter – eine beginnende weiche Fülligkeit, die künftigen Fältchen in den Mundwinkeln und die weichen Hängebäckchen. Ein angenehmer Typ Frau. Ein wenig zu üppig, wie Kustodijews Kaufmannsgattin, aber dafür sehr reizvoll.
    Natascha hob die Urkunde auf.
    »Was ist denn das, Boris?«
    Boris machte eine spiralförmige Bewegung mit dem Finger, die in einem vertikalen Aufwärtsflug mündete: Wir werden abgehört.
    »Nataschenka, diese Urkunde habe ich bekommen, weil man mir im Modellbaukombinat die Anfertigung eines Objekts mit dem Namen »SL« anvertraut hat, und zwar gleich von zwei Exemplaren dieses bemerkenswerten Objekts, das nichts Geringeres war als der Sarkophag des Führers und Lehrers aller Zeiten und Völker Wladimir Iljitsch Lenin. Und schau dir die Unterschrift an. Die oberste Macht bezeugt mir ihren Dank.«
    Nach dieser pathetischen Erklärung zeigte er der Zimmerdecke zwei dicke Daumen. Seine Daumen waren recht groß und ragten ein ganzes Stück zwischen Mittel- und Zeigefinger hervor.
    Maria Nikolajewna lächelte. Natascha legte die weißen Hände an ihren noch weißeren Hals.
    »Was wird jetzt?«, fragte sie leise.
    Boris griff nach einem der dünnen grauen Papierblätter, von denen jede Menge im Zimmer herumlagen, und schrieb mit Bleistift darauf: »Er ist in unbekannte Richtung verschwunden.«
    Auf demselben Blatt skizzierte er sich selbst, wie er sich immer darstellte: großer Kopf, zwischen die Schultern gezogen, kurzer, in die Breite wachsender Bart und eine Stirn mit zwei kahlen Stellen.
    »Schenken Sie mir doch bitte noch ein Tässchen Tee ein, Maria Nikolajewna!« Er klapperte mit der Tasse.
    Natascha saß wie versteinert auf ihrem Stuhl. Maria Nikolajewna ging Teewasser aufsetzen. Boris umarmte seine Frau.
    »Ich hab es gewusst. Das ist alles so schrecklich.«
    Dann nahm sie den Bleistift und schrieb an den Rand des Blattes: »Sie werden dich verhaften.«
    »Ich verlasse in einer halben Stunde das Haus«, schrieb er. Und zeichnete sich selbst, wie er kopfüber die Treppe hinunterpurzelte.
    Das Blatt war voll, er zerriss es und zündete es an. Er wartete, bis die Streifen fast bis zu seinen Fingerspitzen heruntergebrannt waren, und warf sie in den Aschenbecher.
    Er

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