Das gruene Zelt
erste.
Dank ihrer zuverlässigen Herkunft durfte Irina Troizkaja gleich im ersten Jahr ins Ausland fahren. Erst nach Belgrad, dann nach Paris und schließlich nach Mailand. In Mailand blieb sie auch, nachdem ihr ein Journalist, der für die Modespalte einer Provinzzeitung schrieb, überraschend einen Heiratsantrag gemacht hatte. Er war weder besonders schön noch Millionär, aber sie waren vollkommen glücklich, lebten im Süden, in der Nähe von Neapel, woher er stammte. Bald verließ der italienische Ehemann die kommunistische Partei, gab zugleich den Journalismus auf, eröffnete ein Restaurant und wurde später sogar Bürgermeister einer winzigen Stadt. Irina wurde weder Slawistin noch Übersetzerin, und nach Russland fuhr sie nie mehr.
Damit war die Geschichte allerdings noch nicht zu Ende, zumindest nicht für die Familie Troizki. Die skandalöse Entscheidung des Nobelpreiskomitees hätte der junge Diplomat, Iras Schwager, wohl kaum vertuschen können, aber die Obrigkeit im Außenministerium erklärte lieber die unteren Chargen für schuldig als die hohen Natschalniks. Sie befand, Lenas Mann habe sich nicht genügend bemüht. Und dann auch noch Iras Flucht! Also bekam der junge Diplomat eins aufs Dach für einen Nobelpreis, für den er nichts konnte, für Iras Flucht und für seine eigene Schwerfälligkeit. Das junge Paar mit der makellosen Kaderakte wurde aus Schweden abberufen.
Der glücklose Diplomat kehrte mit seiner Frau und den Zwillingen, zwei Jungen, nach Moskau zurück. Lena hatte die Suppe fertig, wenn ihr Mann von seiner Arbeit im Außenministerium heimkam, wo er als fünfter Stellvertreter des siebten Assistenten in einer Abteilung arbeitete, die seit zwanzig Jahren aufgelöst werden sollte. Lena verdingte sich aus Geldmangel als Englischlehrerin an einer Schule. Großmutter Nina ging wie eine gewöhnliche Haushaltshilfe mit den Kindern im Tschapajew-Park spazieren, bis sie sich eines Tages erkältete und an einer Lungenentzündung starb. Alles stand sehr schlecht, bis Lena eine Wahrsagerin aufsuchte. Diese Wahrsagerin orientierte sich an der indischen Tradition und forderte Lena auf, ihr »Karma zu reinigen«. Dazu müsse sie als allererstes ihre Wohnung gründlich putzen, denn darin habe sich viel »Schmutz« angesammelt. Sie riet ihr zu renovieren.
Lenas Mann reagierte äußerst unwillig. Sie kamen so schon kaum zurecht, und nun auch noch eine Renovierung!
Um die Ausgaben gering zu halten, nahmen sie die vorbereitenden Arbeiten selbst in Angriff. Um im einstigen Arbeitszimmer von Igor Wladimirowitsch die Schränke von den Wänden zu rücken, räumten sie zunächst die Bücher aus. Die alten Bücher in den Ledereinbänden brachten sie in ein Antiquariat und bekamen dafür eine gewaltige Summe. Obwohl sie dort nicht alles loswurden. Wie sich herausstellte, besaß der General ziemlich viele Bücher mit Bibliotheks- und Museumsstempeln, und die nahmen die Antiquare nicht.
Im geschlossenen Teil des Schrankes fand Lenas Mann eine große Sammlung antisowjetischer Bücher, darunter auch eine zu der Zeit vollständige Ausgabe der Werke des Nobelpreisträgers, der ihm so viel Ärger bereitet hatte.
»Ja, Vater hat Bücher gesammelt«, erklärte Lena. »Er hatte Zugang zu Büchern, die bei Haussuchungen beschlagnahmt wurden. Einiges haben ihm Freunde auch aus dem Ausland mitgebracht. Er hat vieles gesammelt – Münzen, Geldscheine, Briefmarken.«
Lenas Mann hatte keinen so hohen Posten wie sein verstorbener Schwiegervater und konnte sich nicht erlauben, eine derartige Sammlung zu Hause zu behalten. Spät in der Nacht schleppten sie die gefährlichen Bücher auf den Müll.
Am nächsten Abend rissen sie die Tapeten ab. In einer dicken tragenden Wand entdeckten sie einen Safe. Ein Schlüssel fand sich nicht. Der Safe ließ sich mit Amateurwerkzeug nicht öffnen, dafür aber mühelos aus der Wand herausbrechen. Die Rückwand war aus simplem Sperrholz. Sie rissen sie ab – der Safe enthielt mehrere Packen alter Dollarscheine, die jedoch noch gültig waren, und fünfundzwanzig Zehnrubelscheine aus der Zarenzeit.
Lenas Mann griff sich an den Kopf – brachte aber nichts davon auf den Müll.
Damit endet die Geschichte der Familie von General Troizki.
Das Weitere hat nichts mehr mit dieser Familie zu tun.
Die Schicht im Heizungskeller endete für Igor Tschetwerikow um acht Uhr früh, und normalerweise begann er seine morgendliche Inspektion der umliegenden Müllplätze nach sechs. Der Bezirk Sokol war
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