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Das gruene Zelt

Das gruene Zelt

Titel: Das gruene Zelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ljudmila Ulitzkaja
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Erziehung genossen, die jungen Frauen sind nicht mehr so. Die Verkäuferin Vera, eine diebische Person mit losen Sitten, sie ist die Nichte von Sinaida, die müsste ihre Tante eigentlich öfter mal besuchen und ihr etwas mitbringen, aber dazu hat sie keine Lust. Sinaidas Sohn sitzt, seit zwei Jahren schon, ihre Schwiegertochter säuft, ein Enkel ist letztes Jahr ertrunken, ein Mädchen ist noch da, das ist schwachsinnig …« Nikolai winkte ab. »Ach, was soll’s, Iwanytsch, was interessieren dich unsere Dorfgeschichten …«
    Kolja kam herein – die Arme beladen mit Vorräten aus dem Keller.
    »Alles bestens, Papa, nichts gefroren. Auch die Kartoffeln liegen gut. Aber ich glaube, bei der Kälte kriegen wir sie nicht unbeschadet bis zur Bahn, sie würden Forst kriegen. Ich hab Gurken und Pilze eingepackt, aber die Kartoffeln sollten wir nicht anrühren.«
    »Tja, schade. Aber du hast recht, Kolja. Die Kälte zieht an, auch im Bus würden sie Frost kriegen.«
    Sie setzten sich an den Tisch, eine gemütliche Männerrunde, aßen die Piroggen und allerlei ländliche Speisen, aus Anlass ihres Treffens hatten sie Kartoffeln gekocht und Sonnenblumenöl darübergegossen, aber die Konserven rührten sie nicht an, die sollten die alten Frauen zu Weihnachten essen. Das vorweihnachtliche Fasten hatte gerade erst begonnen, doch sie fasteten ja das ganze Jahr über, kochten sich höchstens mal ein mageres Huhn.
    Am späten Abend, gegen zehn, klopfte es an der Tür. Nikolai stand rasch auf, schob Boris Teller und Glas in die Hand und schubste ihn hinter den Ofen, zu Oma Njura. Sehr zu recht: Draußen stand der Dorfmilizionär Nikolai Swistunow, ein entfernter Verwandter von Njura. Im Übrigen wusste im Dorf längst niemand mehr, wer mit wem verwandt war, denn in den drei umliegenden Dörfern hieß die Hälfte der Einwohner Swistunow, die andere Jerofejew. Und Nikolai hieß sowieso jeder zweite Mann.
    Swistunow warf die Mütze ab und knöpfte seinen Uniformhalbpelz auf. Nikolai griff wortlos nach einem sauberen Glas und goss reichlich ein.
    »Ich komm hier hoch zu euch nach Gorki, da seh ich, ihr habt den Ofen nicht geheizt, und in der Hütte brennt kein Licht«, bemerkte Swistunow.
    »Ach, um die Hütte warm zu kriegen, müsste man drei Tage lang heizen. Wir wollten nur kurz nach dem Rechten sehen und ein paar Gurken und Pilze aus dem Keller holen. Wir übernachten bei Njura, und dann geht’s zurück in die Stadt.«
    Es gab keine Straße nach Danilowy Gorki, noch nicht einmal eine Skispur. Nur den Trampelpfad, den Nikolai und Boris genommen hatten, auf dem war auch der Milizionär gekommen. Aber der Neuschnee hatte die Spuren schon überdeckt.
    »Für den Rückweg brauche ich über eine Stunde«, schätzte Swistunow und hatte es plötzlich eilig. In Troizkoje waren letzte Woche Wölfe gesehen worden. Denen wollte er nicht begegnen. Swistunow hielt sich also nicht lange auf – die Leute redeten viel, wer weiß, was oder wen sie gesehen hatten. Er war hergekommen, hatte die Papiere überprüft, es waren Datschniki, die er kannte, sie wohnten in einem Haus, das sie gekauft hatten; er hatte keine Fremden gesehen.
    Der Ordnung halber fragte er dennoch:
    »Nikolai Michailowitsch, hast du hier vielleicht Fremde gesehen?«
    »Fremde?«, fragte der Maler zurück. »Nein, Fremde hab ich keine gesehen, nur Bekannte.«
    Also trottete der Milizionär Swistunow den schmalen Weg durch den Wald zurück nach Hause. Und begegnete keinem Fremden und auch keinem Wolf.
    Boris kam hinterm Ofen hervor, wo Oma Njura, kaum größer als ein Kind, auf der schmalen Bank tief und fest schlief wie ein Kind. Die Männer leerten die zweite Flasche Wodka, dann tranken sie Tee, danach wischte Boris den Tisch ab und breitete seine Zeichnungen in drei Stapeln darauf aus. Der eine Stapel enthielt die Gelage der alten Frauen, ein anderer Stillleben mit Kartoffeln, Salzgurken und namenlosen Gegenständen unbekannter Bestimmung, die längst aus dem Gebrauch verschwunden waren – Greifer, Holzzangen, Spatel und kleine Tongefäße, vielleicht zum Trinken, vielleicht auch Kinderspielzeug. Auf dem dritten und größten Stapel lagen Blätter aus zerschnittenen Tapeten, vorn und hinten bedeckt mit den nackten alten Frauen, ihren Knochen, Hautsäcken und Säckchen, ihren Falten und Runzeln. Aber es war keine »Hölle« – sie lächelten, kicherten, lachten. Sie fühlten sich wohl – mit dem heißen Wasser, beim langersehnten Bad.
    Nikolai betrachtete die Zeichnungen

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