Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das gruene Zelt

Das gruene Zelt

Titel: Das gruene Zelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ljudmila Ulitzkaja
Vom Netzwerk:
vielleicht auch an beide.
    Er wurde recht lange geduldet, doch nach seinem Rauswurf aus dem Institut und aus der Partei geriet er völlig außer Rand und Band – er begann mit der Herausgabe einer illegalen marxistischen Zeitschrift und versuchte sogar, sie im Ausland zu vertreiben, was die Sicherheitsorgane nun keinesfalls mehr dulden konnten. Also wurde er verhaftet. Zusammen mit seiner Frau, die mit ihren ungeschickten Händen die Zeitschrift abgetippt und mehr schlecht als recht gebunden hatte und ihm ideologisch in nichts nachstand.
    Es hieß, er sei ein exzellenter Kenner der Schriften von Marx und Engels, und am Institut könnten ihm nur wenige das Wasser reichen. Er habe eigens wegen Marx und Engels Deutsch gelernt. Weil er unbedingt die Pariser Manuskripte 1844 im Original lesen wollte. Sie enthielten etwas, wovon Marx in späteren Jahren nicht mehr sprach. Nach Hitlers Machtergreifung hatten deutsche Sozialisten diese Manuskripte nach Moskau schaffen können.
    »Und was nützt das? Sie liegen unter Verschluss, niemand bekommt sie zu sehen«, beklagte sich Valentin bei Ilja.
    In dieser Zeit trafen sie sich meist in den Raucherecken der Bibliotheken. Damals besuchte Ilja Valentin auch das erste Mal zu Hause und fotografierte ihn und seine Frau Sina. Olga erinnerte sich an das Foto, das in einer von Iljas Mappen lag. Ein komisches Pärchen – er hatte eine volle Mähne, die ihm in zwei dicken Wellen bis auf die Ohren fiel, sie hatte ganz dünnes Haar, wie ein Kind nach langer Krankheit, und ein Puppengesicht.
    Nun stand ihre Tochter vor der Tür – ein schmuddeliges Mädchen in einer Kinderjacke mit zu kurzen Ärmeln und abgewetztem Kragen, neben ihr saß artig ein mittelgroßer Hund – dichtes hellgraues Fell, Ringelschwanz und im Gegensatz zu seinem Frauchen sehr gepflegt. Ein nordischer Hund. Eine Laika. Halsband und Leine aus solidem Leder.
    »Ich bin Marina. Hat Ilja Ihnen Bescheid gesagt?« Sie stand noch immer vor der Tür und kam nicht herein.
    »Ja, ja, kommt rein.«
    Marina gab einen leisen Laut von sich, der wie ein Husten klang, und der Hund lief vor ihr in die Wohnung. Das Mädchen trug einen Rucksack auf dem Rücken.
    Ilja kam zur Begrüßung in den Flur.
    »Sitz«, befahl das Mädchen, der Hund setzte sich und schaute sein Frauchen an, als wollte er fragen: Was belieben Sie noch zu befehlen?
    Marina löste die Leine und gab sie Ilja in die Hand.
    »Sie wird nun nur mit Ihnen rausgehen. Mit keinem sonst. Sie müssen nur das eine Wort sagen, also spazieren , und dann geht sie mit.«
    Bei der deutschen Vokabel spitzte der Hund die Ohren.
    »Das hat sie verstanden.« Olga lächelte. »Ein kluger Hund.«
    »Gera? Klug? Sie ist genial. Ist schließlich eine Laika. Laikas sind die allerklügsten Hunde!«
    Olga bot ihr Tee an, besann sich aber sofort – Unsinn, Tee! Das elternlose Mädchen musste etwas zu essen bekommen.
    »Aber ich sage gleich, ich esse kein Fleisch.«
    Ganz schön dreist, dachte Olga, aber Marina lächelte, wobei sie kleine Fischzähnchen entblößte, und verkehrte ihre Dreistigkeit ins Scherzhafte:
    »So haben Gera und ich uns geeinigt: Sie kriegt das Fleisch, ich alles andere.«
    Sie ließ sich darüber aus, was Laikas für wunderbare Hunde seien und dass ihre Familie immer welche gehalten hätte, schon vor dem Krieg, ihr Großvater habe nämlich das Leben der Nordvölker erforscht und den ersten Hund vor fast vierzig Jahren von dort mitgebracht, und seitdem …
    Olga erinnerte sich vage, was sie über diesen Großvater wusste – er war Philologe gewesen, hatte am Wörterbuch eines aussterbenden Nordstammes gearbeitet. Und war dann in den stalinschen Lagern im Norden verschollen.
    Marina aß Buchweizengrütze. Das Brot bestrich sie dick mit Butter. Ihre Hände waren zerkratzt, als hielte sie nicht einen Hund, sondern einen Wurf Katzen, die Fingernägel waren fast bis auf die Halbmonde abgekaut. Sie aß die Grütze, vier Stück Brot mit Butter, allen Käse, der auf dem Tisch lag, und zweihundert Gramm Räucherwurst aus dem Sonderladen des Schriftstellerverbandes – offenbar hatte sie vergessen, dass sie kein Fleisch aß.
    Das arme Mädchen, dachte Olga und sprang auf.
    »Oh, magst du Aprikosenkonfitüre?«
    Sie mochte sie sehr, wie sich herausstellte.
    Zu zweit verspeisten sie mehr als ein halbes Glas Konfitüre, dann schaute Ilja in der Küche vorbei, rief empört: »Was, ohne mich?«, und aß den Rest.
    Kostja kam aus der Schule, freute sich über den Hund, aber Marina

Weitere Kostenlose Bücher