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Das gruene Zelt

Das gruene Zelt

Titel: Das gruene Zelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ljudmila Ulitzkaja
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warnte ihn, dass er nicht mit ihm spielen dürfe, der Hund würde ihn zerreißen.
    Kostja staunte sehr: Wozu war der Hund dann da?
    Olga war ein wenig besorgt – der Hund konnte das Kind ja tatsächlich beißen.
    »Nicht beißen, sondern zerreißen«, korrigierte Marina leise.
    Der Hund saß ungerührt noch dort, von wo Marinas erster Befehl ihn erreicht hatte.
    »Olga, hast du vielleicht eine Unterlage für Gera?« Sie ging jetzt ungeniert zum Du über.
    Nach dem Teetrinken erklärte Marina, sie müsse für eine Stunde aus dem Haus. Sie sagte zu Gera »Platz«, und die legte sich auf die alte Kinderdecke, die Olga Marina gegeben hatte.
    Während das Mädchen weg war, erzählte Ilja Olga von diesem Valentin Kulakow.
    »So seltsam das auch ist, aber wir haben einen Berührungspunkt: Stalin. Doch er hasst ihn nicht wegen des Blutvergießens, nicht wegen des Terrors, sondern weil er die wahren Ideale verhöhnt hat. Er hat sich eine ziemlich komplizierte Kette des Verrats konstruiert: Stalin hat Lenin verraten, Lenin hat Marx entstellt, und Marx hat irgendwas bei Hegel nicht ganz verstanden, jedenfalls nicht so wie Kulakow … Und um das Leben in die richtigen Bahnen zu lenken, in Übereinstimmung mit dem Gesetz des dialektischen Materialismus, müsse man alles auf einen gemeinsamen Nenner zurückführen, überall Korrekturen vornehmen und Stalin wegen seiner kriminellen Verstöße gegen die Ideen des Sozialismus entlarven. Verstehst du, er gehört zu einer ganzen Gruppe von Leuten, die sich auf dem Scheiterhaufen opfern würden für irgendwelche Zitate aus Lenins Staat und Revolution .«
    »Na, das musst du mir nicht erklären, meine Mutter ist genauso«, bemerkte Olga.
    »Das ist etwas ganz anderes! Die ist aus völlig anderem Holz! Sie glaubt an das, was man ihr vorschreibt. Er dagegen benutzt seinen eigenen Kopf, sucht nach Wahrheit, überprüft Texte und vergleicht Aussagen«, erläuterte ihr Ilja den wesentlichen Unterschied.
    »Na, meine Mutter glaubt auch an etwas.« Olga versuchte, die Ehre ihrer Mutter zu verteidigen.
    Ilja fauchte:
    »Klar. An die Anordnungen der Obrigkeit. Jeder weiß, wie sie gegen Pasternak gekläfft hat!«
    Das Verhältnis zwischen Schwiegersohn und Schwiegermutter war absolut klar: Sie empfanden eine strikte Antipathie füreinander. Ilja konnte Antonina nicht verzeihen, dass sie Pasternak aus dem Schriftstellerverband gejagt hatte. Ihr war damals die Leitung der Versammlung angetragen worden, und sie hatte zugestimmt, aus Dummheit, aus Eitelkeit oder aus Angst. Eine Schande!
    Doch auch Antonina konnte ihren Schwiegersohn nicht ausstehen – diesen schlaksigen, unerzogenen Kerl. Sein lautes Lachen war ihr unangenehm, selbst der Geruch, wenn er die Toilette benutzt hatte, schien ihr widerlich. Er riecht wie ein Tier. Ein irgendwie jüdischer Geruch. Wenn sie nach ihm auf die Toilette ging, verbrannte sie immer ein Stück Zeitungspapier. Wen hat sich mein Mädchen da nur gesucht – einen stinkenden Ziegenbock …
    Olga, die ihrem Mann mit Leib und Seele ergeben war, litt unter dieser Aura von Hass, die jeden Raum erfüllte, in dem sich die Mutter und Ilja gemeinsam aufhielten, und versuchte, sie so gut sie konnte zu neutralisieren.
    »Schon gut, Ilja, wir wissen doch, was mit Mama los ist, das ist alles Quatsch, aber wie kann dem Mädchen geholfen werden? Vielleicht kann der Fonds sie unterstützen?«
    Der Hilfsfonds für politische Gefangene, eingerichtet vom berühmtesten Exhäftling, dem am meisten skandalumwitterten Schriftsteller und am wenigsten umgänglichen Emigranten, pumpte dessen Honorare aus dem Westen nach Russland, wo sie in Form von Lebensmittelpaketen in die Lager verteilt oder als Unterstützung für die Familien von Inhaftierten, für Haftentlassene und für medizinische Behandlungen verwendet wurden. Alle, die mit dem Fonds zu tun hatten, waren redliche und zuverlässige Menschen, aber auch auf russische Art schlampig, darum passierten immer wieder Pannen und Fehler, erreichten Briefe und Pakete nicht den richtigen Adressaten, gelangte Geld nicht in die richtigen Hände, und auch die Sicherheitsorgane schliefen nicht. Das Ganze war eine Art großes Netz, das sich über das ganze Land zog, mit Postämtern und Boten, mit geheimen Codes und so manchem Durcheinander.
    »Wer braucht denn Unterstützung dringender als dieses Mädchen?«, beharrte Olga.
    »Olga, du verstehst nicht, wie das Ganze funktioniert. Geld ist tatsächlich da, und zwar für die Bedürfnisse politischer

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