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Das gruene Zelt

Das gruene Zelt

Titel: Das gruene Zelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ljudmila Ulitzkaja
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aber schon.« Olga lachte.
    »Ist dein Vater nicht bei derselben Firma?« Karik lächelte; er war kein bisschen beleidigt.
    »Nein, mein Vater war beim Militär, Spezialist für militärische Bauten, jetzt ist er pensioniert. Meine Mutter ist die Parteitreue in unserer Familie.«
    »Ach ja, ich erinnere mich, deine Eltern waren ziemlich hohe Tiere. Mein Großvater, der war Schäfer, mein Vater hat auf dem Basar Fladen gebacken, und wir waren acht Kinder. Siehst du den Unterschied?«
    Olga fühlte sich unbehaglich: Sie sah den Unterschied.
    »Aber in Sachen Arbeit kann ich dir helfen. Ich bin Referent in der Auslandskommission des Schriftstellerverbands. Einstellen kann ich dich nicht, aber kurzfristige Aufträge sind immer drin. Bei uns hat gerade eine Übersetzerin gekündigt – du kennst sie übrigens, auch aus unserem Studienjahr, Ira Troizkaja –, und in zwei Wochen kommt ein lateinamerikanischer Schriftsteller, eine Art lebender Klassiker. Allerdings wäre das mit Reisen verbunden, Leningrad oder Taschkent. Begleitung, Treffen, du weißt schon. Wenn du willst, nehme ich dich. Du machst mir doch keinen Ärger?«
    Sieh an, er ist doch nicht ganz ohne Gewissen! Will seine Sünde von damals wiedergutmachen …
    Sie waren schon am Dsershinski-Platz angelangt, Olga fror und wollte in die Metro. Er brachte sie noch zum Zug, und sie verabschiedeten sich. Ihre Telefonnummern tauschten sie nicht aus.
    Karik rief zwei Tage später an. Olga hatte ihr Gespräch schon vergessen, sprach aber ständig von Hamlet, konnte gar nicht aufhören, davon zu erzählen. Ganz Moskau redete von der Aufführung, es war die Premiere der Saison, ein großes Theaterereignis. Alle wollten sie so schnell wie möglich sehen, denn Ljubimow hatte ja ständig Ärger mit der Obrigkeit, mal durfte eine Inszenierung nicht weiter gezeigt werden, mal wurde die Arbeit bereits während der Proben verboten.
    Karik bat sie, im Laufe des Tages bei ihm vorbeizukommen. Olga wohnte nur drei Minuten Fußweg entfernt.
    Er trug einen gestreiften Anzug, angefertigt im Atelier des Literaturfonds, das erkannte Olga sofort. Auch die Krawatte war gestreift. Als sie unten im Café saßen und er die Beine übereinanderschlug, sah sie, dass auch seine Socken gestreift waren. Doch sie ermahnte sich sofort und erlaubte sich keinerlei spitze Bemerkungen. Sie rief sich in Erinnerung: Sein Großvater war Schäfer gewesen, sein Vater hatte auf dem Basar Fladen gebacken …
    »Sie kommen zu zweit. Der eine ist Schriftsteller, der andere an der Universität, beides berühmte Leute. Der Schriftsteller kommt aus Kolumbien, der andere aus Spanien, ein namhafter Professor. Wir machen einen Honorarvertrag, ich weise dich ein, und los geht’s! Sie kommen am 1. Februar.«
    An diesem Tag herrschte in der Auslandskommission des Schriftstellerverbands große Aufregung. Am Tag zuvor hatte der Abschiedsempfang für einen westdeutschen Dichter stattgefunden, einen hochberühmten jungen Linken, der am Abend wieder nach Hause flog. Der berühmte Deutsche, der provozierend blond war wie ein Filmnazi, hatte einen Schriftstellerkongress in Baku besucht, wo er etwas mit der Tochter seiner Nachdichterin angefangen hatte, und nun stand die ganze Auslandskommission kopf.
    Bei dem Empfang hing das freche junge Ding, das er zum offiziellen Abschiedsritual mitgeschleppt hatte, an ihm wie Spucke im Bart, und am Ende setzte er sie sich auf seine anderthalb Meter langen Oberschenkel. Und ihre Mutter, eine berühmte Dichterin und Stalinpreisträgerin, die seine Gedichte à la Majakowski ins Russische übertragen hatte, tat, als würde sie nichts bemerken.
    Wegen all dieser aufregenden Ereignisse wurde Olga gar nicht beachtet. Sie kannte die Tochter der Dichterin übrigens, vom Pionierlager Artek her, wo die Funktionärskinder ihre Sommerferien verbracht hatten, später von der Jugendclique in Peredelkino und schließlich von der philologischen Fakultät.
    Karik stellte ihr eine ältere Frau mit mürrischem Gesicht vor.
    »Olga, das ist unsere Buchhaltungsgöttin Vera Alexejewna. Sie wird dir einen Vorschuss auszahlen und alles erklären, danach kommst du wieder zu mir.«
    Diese zehn Tage mit den beiden Gästen erschütterten Olgas Welt gründlich. Der Schriftsteller, ein bärtiger Riesenkerl, der zugleich Hemingway und Fidel Castro ähnelte, begrüßte sie begeistert, mit einem Satz, den Olga erst später verstand:
    »O Madonna! Ich dachte, uns würde ein Trupp KGB-Leute begleiten, aber sie schicken uns

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