Das gruene Zelt
einen Engel. Leider nur einen für uns beide!«
Olga streckte ihm nüchtern ihre kleine Hand hin, doch er küsste sie auf den Kopf. Der Professor schaute missbilligend drein und beteiligte sich nicht an dem Sketch.
Olga brachte die beiden mit einem Dienstwagen zum Hotel Metropol. Im Foyer fragte sie die Männer, ob sie noch etwas bräuchten, drückte ihnen zwei Mappen in die Hand, zwei Umschläge mit einer kleinen Geldsumme – für persönliche Ausgaben – und bat sie, den Empfang zu quittieren.
Der Schriftsteller flüsterte dem Professor etwas ins Ohr, der wurde grün im Gesicht und zischte etwas, das Olga nicht verstand. Das einzige Wort, das sie ausmachte, war mierda – Scheiße.
Der Schriftsteller lachte laut und stieß dem Professor den Ellbogen in den Bauch. Olga füllte an der Rezeption die nötigen Papiere aus und gab den Gästen die Zimmerschlüssel.
»Ich warte hier auf Sie, dann gehen wir essen.«
Olga setzte sich auf ein Samtsofa an der Wand und dachte nach: Das Ganze war zwar recht amüsant, aber sie hätte diesen Auftrag lieber nicht übernehmen sollen. Irgendwie blöd, hier rumzusitzen wie eine Bedienstete. Eigentlich eine demütigende Arbeit.
Als erster kam der Bärtige herunter und zerstreute ihre Bedenken sofort. Er lächelte freundschaftlich und beugte sich vertraulich zu ihr herunter.
»Hast du gesehen, wie sauer er war? Ich hab ihm zugeflüstert, dass das unser Tagegeld vom KGB ist! Und dass wir unterschreiben müssen, dass wir das Geld angenommen haben! Er ist so furchtbar geradeaus, da ärgere ich ihn gern ein bisschen.«
Zehn Minuten später kam auch der Professor herunter. Sie gingen ins Restaurant. Die beiden Gäste schauten sich um, betrachteten den Stuck und die Spiegel, und der Schriftsteller schnalzte mit der Zunge.
»Echter kommunistischer Luxus!«
Er erwies sich als Vielfraß, bestellte Vorspeise, Suppe und zwei Hauptgerichte. Dazu trank er anderthalb Flaschen Wein und verlangte Kommentare zur regionalen Küche. Der Professor war zurückhaltend und wirkte müde. Nach dem Essen wollte der Schriftsteller umgehend von Olga auf den Roten Platz geführt werden.
»Ich würde auch gern ein Stück gehen«, sagte der Professor und stand auf.
Olga nickte. »Es ist nicht weit, in zwei Minuten sind wir auf dem Roten Platz.«
»Also, davon rate ich dir ab. Ich war 1957 hier, zu den Weltfestspielen. Sie haben hier einen nationalen Brauch: Dem Mausoleum darf man sich nur auf Knien nähern«, sagte der Schriftsteller.
Der Professor wedelte erschrocken mit beiden Händen.
»Nein, nein, Pablo, ich gehe nirgendwohin. Ich bleibe in meinem Zimmer.«
Der Schriftsteller zwinkerte Olga zu: Mach mit! Sie begriff, dass sie mitspielen sollte.
»Das wurde inzwischen aufgehoben! Man muss nicht mehr auf Knien. Nur, wer will …«
Der Schriftsteller wieherte los. Der Professor schüttelte den Kopf und lachte.
»Ach, zum Teufel mit dir, immer musst du mich …« Das letzte Wort verstand Olga nicht, erfasste aber seine Bedeutung.
Das Programm war sehr gedrängt. Jeden Tag zwei Treffen mit Schriftstellern, Frühstück, Mittag- und Abendessen, Bolschoi-Theater, Tretjakow-Galerie … und mit jedem Tag wurde der Schriftsteller mürrischer, als hätte er von der Reise etwas anderes erwartet.
Dann fuhren sie nach Leningrad. In Leningrad lebte der Schriftsteller wieder auf: Bei seinem letzten Besuch war man nicht mit ihm herumgereist, und nun war er begeistert von der Stadt, die ihn – zu Recht – an Amsterdam erinnerte und zugleich – ein wenig übertrieben – an Venedig.
Dazu konnte Olga nichts sagen, denn alle Städte jenseits der Grenzen der UdSSR befanden sich für sie eher im Bereich der Phantasie, der literarischen Trugbilder, aber dieser Einwohner einer Bananenrepublik am Ende der Welt, in Südamerika, war ein Weltbürger – er hatte in Paris und New York studiert, ganz Europa bereist, überall viel gegessen, getrunken, viel gelesen, geschrieben, was er wollte … Und stets und unentwegt hatte er das Leben genossen. Selbst der Schneeregen, der in Leningrad keinen Augenblick aufhörte, bereitete ihm Vergnügen. Am Morgen sah Olga eine stramme Nutte mit Grenadiermaßen aus seinem Zimmer kommen.
Das geht mich nichts an, dachte sie und ging zum Fahrstuhl.
Der letzte Programmpunkt war Taschkent. Ein unangenehmer Flug mit Zwischenlandung und Verspätung. Auf den Flughäfen froren sie fürchterlich. Endlich erreichten sie ihr Ziel. Sie stiegen aus – es war warm, die Sonne stieg vor ihren
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