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Das gruene Zelt

Das gruene Zelt

Titel: Das gruene Zelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ljudmila Ulitzkaja
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Chinesen und die Arbeiter und Bauern abrechnet, sind alle Menschen auf der Welt über einen Dritten miteinander bekannt. Mit Sacharow verhielt es sich tatsächlich so: Ein gewisser Valeri, ein alter Bekannter von Ilja, hatte engen Kontakt zu ihm, beide gehörten dem Menschenrechtskomitee an. Ein paar Telefonate – und Sacharow versprach, Aische zu empfangen.
    Drei Tage später brachte Micha sie zu ihm. Zu Fuß waren es nur zwanzig Minuten. Aische zitterte den ganzen Weg über, vor Aufregung hatte sie Kopfschmerzen, und als sie vor der Tür standen, fing sie an zu weinen. Während Micha sie tröstete, ging die Tür auf, ein Halbwüchsiger mit einem Mülleimer kam heraus, fragte, zu wem sie wollten, ließ sie ein und bat sie, die Tür angelehnt zu lassen.
    Der Rest erschien sowohl Micha wie auch Aische vollkommen irreal. Aische kam sogar der Gedanke, dass jemand ihnen einen Streich spielte: Ein magerer, unscheinbarer Mann, der in seinem abgetragenen Pullover ganz und gar nicht aussah wie ein respektables Akademiemitglied, saß in einem kleinen, schrecklich vollgestopften Zimmer auf dem Bett. Aische stotterte plötzlich so stark, dass Micha die ganze Geschichte von Mustafa erzählen musste, angefangen bei ihrer ersten Bekanntschaft im Hotel in Bachtschissarai.
    Sacharow – oder ein Hochstapler, der sich für den Professor ausgab? – hörte aufmerksam zu, nickte verständnisvoll, sagte hin und wieder etwas, das zeigte, dass er umfassend informiert war, schrieb schließlich den Namen auf ein abgerissenes Stück Papier und lud sie zum Tee ein.
    Sie gingen in die Küche, wo eine ältere Frau mit dicker Brille wirtschaftete.
    In der Ecke saß eine Alte mit einer weichen Mütze, und der Junge, der den Mülleimer hinausgebracht hatte, nahm sich ein Glas Tee und ein paar Kekse und verschwand im weitläufigen Flur.
    Aische berührte die billige gepunktete Tasse und sprach aus, was sie in der letzten halben Stunde am meisten beschäftigt hatte:
    »Andrej Dmitrijewitsch, ich habe nie geahnt, wie bescheiden Akademiemitglieder leben.«
    Micha errötete vor Verlegenheit: So ein Provinzdummchen!
    Die ältere Frau mit der Brille lachte.
    »Ach, mein Kind! So bescheiden leben nur Akademiemitglieder, die Briefe zur Verteidigung der deportierten Tataren schreiben.«
    Da begriff Aische, dass sie etwas Dummes gesagt hatte, bekam puterrote Wangen und ein schweißnasses Gesicht.
    »Entschuldigen Sie bitte, das ist mir natürlich klar. Ich war nur nicht darauf gefasst, dass es so etwas gibt.«
    Nun kam ein junges Pärchen herein – die Tochter der Hausherrin mit ihrem Mann –, die Küche fasste nicht mehr alle, und Micha und Aische machten ihre Hocker frei und gingen hinaus.
    Sacharow versprach, wegen Mustafa Usmanow einen Brief zu schreiben, und riet Aische außerdem, einem in Moskau akkreditierten amerikanischen Journalisten ein Interview zu geben. Das wollte er arrangieren.
    Tatsächlich schrieb Sacharow einen Brief, allerdings nicht an den amerikanischen Kongress oder an westliche Zeitungen, sondern ans Innenministerium, und zwei Wochen darauf wurde er in die Sprechstunde des Ministeriums eingeladen, wo er mit zwei Beamten über Hauptmann Usmanow sprach – zu der Zeit redete man noch mit ihm, behandelte ihn respektvoll und jagte ihn nicht einfach fort. Und er erreichte auch einiges: Kurz zuvor hatte sich auf seine Fürsprache hin eine tatarische Familie auf der Krim ansiedeln dürfen. Eine von vielen Tausenden. Und er engagierte sich weiter für die Tataren.
    Im Fall Usmanow ließ sich allerdings nicht überprüfen, ob seine Worte etwas bewirkten oder nicht, denn Usmanow starb nach anderthalb Monaten im Untersuchungsgefängnis in Taschkent. Vielleicht hatte Sacharows Brief den einstigen Helden, den Verteidiger der Heimat und tatarischen Sonderumsiedler nicht retten können, weil die Post in der Sowjetunion so lange unterwegs war.
    Doch erst einmal freute sich Aische, dass dieses wichtige Treffen zustande gekommen war, und hoffte das Beste. Micha hatte sie untergehakt, sie konnte sich vor Aufregung kaum auf den Beinen halten und dankte ihm den ganzen Weg über mit allzu steifen Worten. Erst kurz vor seinem Haus wurde Micha bewusst, dass ihnen die ganze Zeit ein Mann gefolgt war, dessen unauffälliges Gesicht keinen Zweifel daran ließ, woher er kam.
    Zwei Tage darauf kam am späten Abend ein ausländischer Journalist namens Robert zu Micha nach Hause. Sacharow hatte ihn geschickt. Er trug einen langen sowjetischen Mantel, eine

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