Das gruene Zelt
zerknautschte Ohrenmütze und sah eher aus wie ein russischer Packer, als wie ein Washingtoner Slawist. Er hatte polnische Wurzeln und war strikt antisowjetisch. Sie tranken Tee und redeten, und ein kleines Tonbandgerät, ein Wunder westlicher Technik, stand auf dem Tisch und nahm auf, was Aische erzählte. Der ehemalige Pole hatte die Manieren eines Frauenhelden, er sah Aische mit zuckersüßem Blick an, machte ihr Komplimente, und sie blühte auf, lächelte, zog kokett die Schultern hoch und sprach frei, ja kühn, keineswegs so gehemmt wie bei Sacharow in der Küche.
Dann ging Robert, nahm wieder das Taxi, das er hatte warten lassen, fuhr zu seinem Haus auf dem Leninprospekt, stieg aus und wurde von zwei kriminell aussehenden jungen Kerlen überfallen. Er ließ sich auf eine Prügelei ein, obwohl er sehr wohl wusste, dass er das lieber gelassen hätte, dass es richtiger gewesen wäre, auf schnellstem Weg zum Hauseingang zu laufen. Am Ende wurden alle drei wegen Rowdytums von der Miliz festgenommen, und obwohl die Sache für Robert relativ glimpflich ausging – er wurde eine Nacht auf dem Revier festgehalten, und am nächsten Morgen kam der amerikanische Konsul und holte den Dummkopf raus –, war nach all diesem Durcheinander das kleine Tonbandgerät verschwunden und wurde nie wieder gesehen.
Am nächsten Tag, Aische war im Kinderkaufhaus, kam der Milizionär Kussikow zu Micha, schaute sich um, entdeckte den Korb, in dem Aische eine Zuckermelone und Weintrauben mitgebracht hatte, und den Glasfiberkoffer, druckste eine Weile herum, ging dann taktvoll mit Micha hinaus ins Treppenhaus und sagte:
»Micha, hör mal, du solltest, also … Sie waren bei mir, haben gefragt, wer da bei dir wohnt. Und mir den Marsch geblasen. Also, ich meine, sieh zu, dass sie schnell verschwindet …«
Noch am selben Abend brachte Micha Aische zum Kasaner Bahnhof und setzte sie am frühen Morgen in den Zug nach Taschkent, wo sie der Zugbegleiter ohne Fahrkarte, gegen Bares, in seinem Abteil unterbrachte.
Weitere zwei Tage später fand Micha eine Vorladung im Briefkasten – er sollte in die Lubjanka kommen, zu einem Gespräch mit Hauptmann Safjanow.
Aljona sagte er nichts davon, doch Ilja, mit dem er sich am üblichen Ort verabredete, zeigte er das beunruhigende Papier.
»Ich habe dich gewarnt: Du hättest Aische nicht bei dir behalten sollen. Die haben dich doch im Visier.«
Micha brauste überraschend auf.
»Ach, ich hätte das Mädchen mitten in der Nacht auf die Straße jagen sollen, ja? Es gibt Situationen, da kann man nicht nein sagen!«
»Micha, du bist wie ein Kind, ehrlich! Ja sagen war genauso unmöglich! Ich hatte dich doch gewarnt! Und ich habe gesagt, sie soll allein zu Sacharow gehen, ohne dich! Und wie konntest du den Korrespondenten bei dir zu Hause empfangen? Du hast so viele Fehler gemacht, jetzt musst du die Suppe selber auslöffeln. Im Moment sieht es ziemlich übel aus. Sie haben fast alle mundtot gemacht. Die Tataren wie die Juden. Auch die ›Chronik‹ erscheint nicht mehr – die Herausgeber sind alle weg. Du hast dir für deinen Edelmut eine denkbar schlechte Zeit ausgesucht.«
Micha ließ den Kopf hängen.
»Ja, du hast ja recht. Aber es ging nicht anders: Auf die Straße jagen konnte ich sie nicht, zu dir schicken auch nicht, und ich konnte sie auch nicht allein zu Sacharow gehen lassen, nur, dass Robert zu mir nach Hause gekommen ist, das hätte ich wirklich vermeiden sollen. Aber alles andere – das ging nicht anders, Ilja. Nein, es ging nicht anders!«
Ilja schwieg düster. Was konnte er für den Freund tun?
»Hör zu, ich kenne da jemanden, einen Geologen. Vielleicht haust du für eine Weile ab in den Norden, mit einer Expedition? Die Bedingungen dort sind natürlich hart. Jakutien, das ist furchtbar weit weg …«
»Nein. Ich kann nicht. Aljona. Maja. Und überhaupt – vor denen kann man sich nirgends verstecken!«
»Wenn du willst, komme ich mit nach Jakutien, ja?« Mehr konnte Ilja ihm nicht anbieten. Und niemand hätte ihm mehr anbieten können. Ilja wusste nur zu gut, dass Micha nun festsaß.
Hauptmann Safjanow taugte nicht für die Observation – auf seiner rechten Wange prangte ein großes dunkelrotes Muttermal, beinahe eine Geschwulst. Sehr auffällig, auf hundert Meter zu erkennen. Der Ermittlungsarbeit aber war die Geschwulst nicht im Wege, und Safjanow war bedächtig die Karriereleiter hinaufgestiegen, ohne jemandem in die Quere zu kommen, und er war ganz zufrieden mit seinem
Weitere Kostenlose Bücher