Das gruene Zelt
mindestens eine Dreiviertelstunde vonnöten, um die Einzelteile zu einem Ganzen zusammenzukitten. Also lief zunächst Musik. Aber es herrschte noch keine rechte Tanzstimmung, alle schlenderten uninspiriert durch den Saal. Im benachbarten Klassenraum wurden hastig die letzten Blumen an Kränze geheftet, Darsteller geschminkt und Texte repetiert.
Viktor Juljewitsch unterhielt sich am Fenster mit einer Mutter. Dann sah er, dass Andrej Iwanowitsch ihm von der Tür her winkte – er solle herauskommen.
Wie sich herausstellte, hatten Maximow und Tarassow, die beiden Davongejagten, das Schulgebäude keineswegs verlassen, sondern waren auf den Dachboden gestiegen und hatten dort eine Flasche Süßwein geleert. An der Bodentür wurden sie in flagranti erwischt und zum Direktor gebracht. Beide waren betrunken, das sah man mit bloßem Auge.
Als Viktor Juljewitsch das Büro der Direktorin betrat, sagte sie mit theatralischer Geste zu ihm:
»Da, sehen Sie sich das an, unsere lieben Schüler!«
Die beiden sahen so erbarmungswürdig aus, dass sie eher Trost brauchten als eine Bestrafung.
Viktor Juljewitsch nahm die leere Flasche vom Schreibtisch der Direktorin, drehte sie um und schaute auf das Etikett.
»Ja, das ist wirklich tadelnswert. Ein schreckliches Gesöff.«
Die Direktorin blieb bei ihrem Part.
»Also, eure Eltern kommen euch sofort abholen, und dann reden wir darüber. Aber wenn ihr nicht sagt, wer da noch mit euch auf dem Dachboden war, werdet ihr von der Schule verwiesen!«
Sie waren nur zu zweit gewesen, doch Larissa Stepanowna witterte dahinter eine ganze Gruppe.
»Was siehst du mich so frech an, Tarassow? Das gilt auch für dich, Maximow. Na los, nennt schon die Namen eurer Komplizen. Und glaubt nicht, wenn ihr sie schützt, kommen sie ungeschoren davon. Wir finden sie so oder so. Ihr schadet nur euch selbst.«
»Tja, das ist wirklich nicht schön«, sagte Viktor Juljewitsch säuerlich. »Wo habt ihr das Zeug denn her?«
»Aus dem Lebensmittelladen Nummer hundert«, antwortete Maximow bereitwillig.
»Sagt bloß, bei euch zu Hause wird dieser Wein auch getrunken?«
»Meine Mutter trinkt überhaupt nicht«, log Maximow.
Das unergiebige Verhör dauerte an, bis Tarassows Vater, Oberstleutnant des Innenministeriums, mit seinem Dienstwagen eintraf. Larissa Stepanowna schilderte ihm das Vorgefallene. Er stand da und schwoll an vor Wut.
»Wir klären das«, sagte der Oberstleutnant finster, und es war ziemlich klar, was dem Jungen blühte.
»Und wo bleibt deine Mutter?« Larissa Stepanowna hatte die sich hinziehende und fruchtlose Aussprache ebenfalls sichtlich satt, zumal ihr Platz jetzt eigentlich im Saal war.
»Meine Mutter ist zur Tante nach Kaluga gefahren.«
Das Gesicht der Direktorin spiegelte angestrengtes Nachdenken.
»Ich übernehme die Verantwortung für ihn, und wenn das Programm vorbei ist, bringe ich ihn nach Hause. Zur Sicherheit, damit er nicht unversehens von der Miliz aufgegriffen wird.« Viktor Juljewitsch legte Maximow die linke Hand auf die Schulter.
»Gehen Sie.« Die Direktorin winkte ihn hinaus. »Und du, Maximow, kommst mir nicht ohne deine Mutter in die Schule.«
Diese Bemerkung war absolut sinnlos, denn nun waren erst einmal drei Monate Ferien.
Viktor Juljewitsch führte den Unglückswurm Maximow in den Saal.
»Verhalten Sie sich still, Maximow, still und unauffällig.«
Maximow nickte dankbar. Seine Mutter war keineswegs in Kaluga, sie hatte Besuch von ihrem Liebhaber aus Alexandrow; die beiden saßen zu Hause und tranken.
Micha hatte versucht, in dem Theaterstück sein gesamtes Literaturwissen in Verse zu fassen. Die potentiellen Darsteller waren mit Michas Werk ihrerseits kreativ umgegangen, hatten noch dies und jenes hinzugefügt, und so war der Text auf zweihundert Seiten angeschwollen.
Zwei Wochen vor dem Abschlussball, mitten in den Prüfungen, als alle Mathe und Chemie büffelten, hatte sich Ilja Michas Stück vorgenommen, es auseinandergeschnitten und Teile davon neu zusammengesetzt, und dabei war sogar eine richtige Handlung entstanden. Nun war das Ganze eine lustige Reise einer Gruppe von Idioten (die ihre echten Namen trugen), die dauernd in Unannehmlichkeiten gerieten und daraus nur durch höhere Mächte gerettet wurden – nämlich durch Viktor Juljewitsch in verschiedener Gestalt, von Zeus bis zum Verkehrspolizisten.
Viktor Juljewitsch wurde von Senja Swinjin gespielt, dem besten Schauspieler der Klasse, der sich im Übrigen an der Schauspielschule
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