Das Gurren der Tauben (German Edition)
’ s dir? ”
“ Danke, mir geht
es gut! ” , sagte sie
wieder ü bertrieben laut
und deutlich und schaute die Offiziere an um sicher zu gehen, dass sie nichts
Falsches gesagt hatte. Pl ö tzlich konnte sie nicht l ä nger an sich halten und fing an zu weinen.
“ Bist du denn nicht
froh, dass wir uns wiedersehen? ” , sagte ich.
“ Nat ü rlich bin ich
das ” , sagte sie
schluchzend.
“ Und warum weinst
du dann? Das ist doch ein Grund zur Freude. Also bitte lach mal. ”
Der
Gesichtsausdruck meiner Mutter hellte sich auf und sie l ä chelte. Sie
schnaubte ihre Nase und wischte sich die Tr ä nen aus dem Gesicht. “ Ich rei ß mich ja schon zusammen ” , sagte sie zum ersten Mal in normaler Tonlage und fing an mir Fragen zu
stellen.
Ich versuchte
locker r ü berzukommen und
riss sogar ein paar Witze. Das machte alles einfacher. Bobby schenkte mir einen
b ö sen Blick, als
ich meiner Mutter sagte, sie solle nicht immer zu ihm und seinem Genossen hin ü ber schauen,
sondern einfach so tun, als ob sie nicht da w ä ren. Daran hielt sie sich fortan.
Nach 10 Minuten
waren die Barrieren eingerissen und wir sprachen miteinander wie wir es getan
hatten, als ich noch ein kleiner Junge war. Sie erz ä hlte mir das
Neueste von der Familie und insbesondere meiner Tochter. Die Zeit verging wie
im Flug. Als Bobby auf die Uhr schaute und sagte, dass wir zum Ende kommen
sollen, konnte ich nicht glauben, dass die Stunde schon rum war.
Meine Mutter
packte die Sachen aus, die sie mir mitgebracht hatte: Obst, Kaugummis,
Toilettenartikel, Vitamintabletten und Broiler. Es war ü ber dem
erlaubten 20-Mark-Limit. Ich erwartete, dass Bobby sie einiges wieder einpacken
lassen w ü rde, doch das
tat er nicht. Der Mann war mir ein R ä tsel.
Er informierte
meine Mutter dar ü ber, dass sie und mein Vater mich in Zukunft jeden zweiten Monat besuchen d ü rften. Er gab
ihr direkt die Daten f ü rs laufende Jahr. Die Besucherscheine w ü rden ihnen automatisch per Post zugeschickt.
Ich h ä tte meine Mutter
gern umarmt, doch Bobby versperrte mir mit seinem massigen K ö rper den Weg.
Ich dankte ihr f ü r die Geschenke und sagte: “ Tsch ü s Mutti! ”
Sie sah mich
liebevoll an. Sie wollte noch was sagen, z ö gerte aber. Dann begann sie doch zu sprechen: "Ich
habe viel dar ü ber nachgedacht,
was du mir damals gesagt hast."
Ich wusste
sofort was sie meinte und sch ü ttelte abwehrend den Kopf, denn ich wollte nicht daran erinnert werden.
"Du musstest mit 'nem schei ß Neger ins Bett gehen und ich kann jetzt alles
ausbaden." Das waren meine Worte gewesen, f ü r die ich mich nun in Grund und Boden sch ä mte.
Meine Mutter
sprach weiter, jedoch mehr zu sich selbst: “ Ich wollte immer so gern ein braunes Baby haben. Ich fand
die so niedlich. Ich habe nicht im Traum daran gedacht, dass du ’ s so schwer
haben wirst. Wenn ich ’ s gewusst h ä tte, h ä tte ich das nie
getan ... Tsch ü s mein Junge!
Ich liebe dich! ” Sie nahm ihre Tasche und ging zur T ü r.
Sie war der
einzige Mensch, der immer zu mir hielt, selbst wenn ich im Unrecht war und ich
hatte ihr so unendlich viel Kummer bereitet. Sie trug an ü berhaupt nichts
schuld! Sie hatte immer ihr Bestes getan.
Einmal mehr
wurde mir bewusst, wie sehr ich das alles verdiente ... Ich riss mich zusammen
und zwinkerte ihr zu, bevor Bobby die T ü r schloss. Dann konnte ich die Tr ä nen nicht mehr
zur ü ckhalten.
Die folgenden
Wochen waren eint ö nig. Es gab Tage, an denen ich vor Energie strotzte und solche, an denen
ich mich fragte, was mein Leben ü berhaupt noch f ü r einen Sinn hat.
Eines Tages
entschloss ich mich ü ber die n ä chsten Monate
die wichtigsten deutschen Klassiker zu lesen. Ich lieh mir B ü cher von Goethe,
Schiller, Lessing und Heine aus. Zu meiner gro ß en Freude, hatte die Bibliothek “ The complete
works of Shakespeare ” . Mein Englisch war inzwischen so gut, dass ich es lesen konnte.
Die klassischen
Dichter beeindruckten mich mit ihrer Weisheit und ihren Worten, die zugegebener
Ma ß en anfangs eine
Herausforderung waren. Doch ich kam beim Lesen auf den Geschmack. In dieser
Zeit war ich bemerkenswert ausgeglichen. Mein hartes Schicksal k ü mmerte mich
nicht mehr. Ich akzeptierte es.
Die
humanistischen Grundgedanken dieser Dichter best ä rkten mich in der Ü berzeugung, dass das wof ü r sie mich
verurteilt hatten, kein Verbrechen war. Ich hatte nur das Ziel gehabt, die mir aus
ideologischen Gr ü nden vorenthaltene Freiheit zu
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