Das Gurren der Tauben (German Edition)
den Rhythmus zu kommen. Gegen
Mittag wurde er schl ä frig. Dann zog er sich in seine Zelle zur ü ck und schlief bis zur Freistunde. In dieser Zeit
war ich mit Mario allein – meine Chance, ungest ö rt mit ihm zu reden.
Ich begann mit
seinem Mangel an Hygiene. Nach mehreren Versuchen, gelang es mir ihn zum Reden
zu bringen. Es stellte sich heraus, dass er gar nicht so verschlossen war. Wenn
ich hartn ä ckig nachfragte,
begann er irgendwann z ö gerlich zu reden und wurde nach einer Weile richtig gespr ä chig.
Mario versuchte
jedem Ä rger aus dem Weg
zu gehen. Er war unterw ü rfig und ä ngstlich. Obwohl
wir gleichaltrig waren, redete ich mit ihm etwa so, wie ein Onkel mit seinem
Neffen reden w ü rde. Ich
brauchte nicht lange ihn davon zu ü berzeugen, dass er sich t ä glich waschen und die Z ä hne putzen muss.
Als er mir versprach dies fortan zu tun, gab ich ihm die Blend-a-med, die er
eigentlich zu Weihnachten h ä tte bekommen sollen.
An den folgenden
Tagen verlagerte ich unsere Unterhaltung mehr und mehr in Richtung seiner
Straftat. Es wurde schnell klar, dass er partout nicht dar ü ber reden
wollte. Als ich merkte, dass ich mit indirekter Fragerei nicht weiter kam,
redete ich Klartext: “ Weswegen genau bist du drin, Mario? ”
“ Wegen Mordes.
Hab ich dir doch gesagt ” , sagte er mit seiner hellen Stimme.
“ Wen hast du
umgebracht? ”
“ Jemanden, den du
nicht kennst. ”
“ Wie alt war der? ”
“ Wer? ”
“ Der den du
umgebracht hast. ”
“ Genauso alt wie
ich damals war. ”
Ich kam nicht zu
ihm durch. Also versuchte ich es auf andere Weise: “ H ö r zu Mario. Wir
drei m ü ssen hier auf
II/West miteinander auskommen, ob wir wollen oder nicht. Und deshalb denke ich,
dass ich das Recht habe, zu erfahren, wer die Leute sind, mit denen ich ’ s hier zu tun
habe. Du wei ß t weswegen ich
hier bin und ich will das Gleiche von dir wissen. ”
Er arbeitete
wortlos weiter. Doch sein Gesichtsausdruck verriet, dass er mit sich k ä mpfte.
“ Hast du aus
irgend einem Grund Angst, dar ü ber zu reden? ” , fragte ich.
Er schniefte – das Zeichen daf ü r, dass er etwas
sagen wollte und nach den richtigen Worten suchte. Schlie ß lich fand er
sie: “ Angst, w ü rde ich es nicht
nennen, eher Vorsicht auf Grund schlechter Erfahrung. ”
“ O. K. ” , sagte ich,
froh dar ü ber, dass er
einlenkte. “ Alles was du mir
sagst, bleibt unter uns. Ich verspreche, dass sich mein Verhalten dir gegen ü ber nicht ä ndern wird, egal
was du mir erz ä hlst. Ich will nur
wissen, was passiert ist. ”
Er dachte wieder
minutenlang nach. Dann sagte er: “ In Ordnung. Komm nach der Freistunde r ü ber zu mir, dann
erz ä hl ich dir
alles. ”
Direkt nach der
Freistunde ging ich zu ihm in die Zelle, gespannt wie ein Flitzebogen. Wir
tranken einen Kaffee und redeten ü ber dies und jenes, bevor wir zum eigentlichen Thema
kamen. Mario ü berlegte wieder
lange, dann schniefte er und fing an zu sprechen: “ Ich muss erst
mal klarstellen, dass ich nicht wegen eines sondern wegen mehrfachen Mordes
verurteilt worden bin. ” Er blickte mich an, um meine Reaktion abzuwarten.
Ich sagte
nichts.
“ Wegen f ü nffachen ” , sagte er.
“ F ü nffacher Mord? ” Ich schluckte,
starrte ihn an und sch ü ttelte ungl ä ubig den Kopf. Ich konnte und wollte mein Entsetzen nicht verbergen.
“ Und warum? Ich
meine, wer waren diese Leute? ” , fragte ich, als ich meine Fassung wiedergewonnen hatte.
“ Der Erste war 20
Jahre alt. Ich habe ihn erstochen, als er besoffen auf einer Parkbank sa ß . ”
“ Warum? ”
“ Der war
eigentlich nur zur Probe ” , sagte Mario. “ Acht Monate sp ä ter habe ich dann einen Jungen von zw ö lf Jahren umgebracht. Das war schon besser. Aber am sch ö nsten war ’ s mit den beiden
Br ü dern. Der eine
war zehn, der andere zw ö lf ... Das ist mein Lieblingsalter. Ein Jahr sp ä ter habe ich
dann noch einen Jungen get ö tet. Als ich den sechsten am Wickel hatte, haben sie mich gekriegt. ”
Mario sagte, er
habe eine komplizierte sexuelle Veranlagung und k ä me nur zum Orgasmus, wenn er kleine Jungen mit
schmerzverzerrten Gesichtern s ä he. F ü r ihn war es das
absolute Hochgef ü hl, als die Kleinen sich verzweifelt zur Wehr setzten, als ihr Blut floss,
als sie die Augen verdrehten und dann ihre letzten Zuckungen ... “ Du kannst dir
nicht vorstellen, wie viel Kraft so ein kleiner Kerl in seiner Todesangst
entwickelt. ”
Ich schluckte
...
Nach
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