Das Gurren der Tauben (German Edition)
einig, dass fr ü hestens zum 40.
Jahrestag der DDR, also im Herbst 1989, damit zu rechnen sei. Und nun das! Wir
standen da und konnten es nicht fassen. Da wir sofort wieder in unsere Zellen
eingeschlossen wurden, hatten wir keine Zeit Gedanken auszutauschen.
Sollte ich
wirklich so ein Gl ü ck haben und entlassen werden, obwohl ich lebensl ä nglich hatte? In
mir kamen Zweifel auf. Doch dann rief ich mir die Worte dieses Offiziers ins
Ged ä chtnis zur ü ck. Er hatte so
getan, als ob wir ausnahmslos alle entlassen werden w ü rden.
Ich machte die
ganze Nacht kein Auge zu. Aber das ging nicht nur mir so. Bei Andreas ging alle
paar Minuten die Toilettensp ü lung und bei Mario knarrte unaufh ö rlich eine Diele, woraus ich schloss, dass er genau wie
ich rastlos hin und her tigerte.
Am n ä chsten Morgen
beherrschte die Amnestie die Radionachrichten, allerdings wurden keine Modalit ä ten genannt.
Kurz vor Mittag kam endlich die Zeitung, auf die wir alle so gespannt warteten.
Das Thema Amnestie beanspruchte die ganze erste Seite.
Als wir alles
durchgelesen hatten, kam die Ern ü chterung, denn es gab zu viele Zweideutigkeiten. Die
Todesstrafe wurde abgeschafft. Ausgeschlossen von der Amnestie waren alle wegen
Mordes, Spionage und Kriegsverbrechen Verurteilte, gleichzeitig wurde Lebensl ä nglich auf 15
Jahre herabgesetzt. Es stellte sich die Frage, wem von den Langstrafern diese
Amnestie n ü tzen sollte? Denn
diejenigen, die Lebensl ä nglich hatten, waren entweder wegen Kriegsverbrechen, Mordes oder Spionage
verurteilt.
Wir hatten keine
Ahnung ob jemand von uns dreien darunter fallen w ü rde. Wir lebten zwischen Hoffen und Bangen und
warteten darauf, irgend einen Bescheid zu bekommen. Doch nichts passierte.
Unser Tagesablauf sowie die Haftbedingungen blieben dieselben. Ich musste bei
Bewegungen au ß erhalb des
Verwahrbereichs nach wie vor Handschellen tragen und andere Gefangene bekamen
wir auch nicht mehr zu Gesicht.
Als sich nach 14
Tagen nichts getan hatte, lie ß Andreas H ä hnchen zu uns
bestellen. Ü berraschenderweise
kam der noch am selben Tag.
“ Es hat eine
Amnestie gegeben. Wir m ö chten gern wissen, ob von uns dreien jemand darunter f ä llt “ , sagte Andreas
respektvoll.
“ Da muss ich erst
mal nachschauen “ , sagte H ä hnchen und st ü tzte sich mit
einer Hand l ä ssig am
geschlossenen Trenngitter ab. “ Also der Strafgefangene Baganz f ä llt auf keinen Fall drunter. Das ist klar. “ Der Blick den
er mir zuwarf war eine Mischung aus Schadenfreude und Mitleid. “ Bei Ihnen, muss
ich wie gesagt, erst mal nachschauen. Und ä h …” Er wandte sich an Mario: ” Weswegen waren Sie gleich noch mal hier? ”
Diese Frage war
eine Frechheit, denn er wusste genau, weswegen Mario einsa ß . Er wusste auch
genau, dass Mario der Letzte war, der unter eine Amnestie fallen w ü rde.
“ Wegen Mordes ” , piepste Mario.
“ Dann muss ich
mal schauen, ob wir Sie nicht wenigstens auf 15 Jahre runtersetzen k ö nnen. W ä re doch gelacht,
wenn wir das nicht packen. “ Bei diesen Worten klatschte er in die H ä nde. Dann machte er kehrt und schloss die T ü r wieder ab.
Sp ä testens nach
diesem Gespr ä ch, war klar,
dass keiner von uns dreien unter die Amnestie fiel. Allein Andreas wollte nicht
mitbekommen haben, wie H ä hnchen sich ü ber uns lustig gemacht hatte. Er glaubte in seiner Naivit ä t oder
Verzweiflung weiter fest daran, dass er innerhalb der n ä chsten Tage
entlassen werden w ü rde. Doch irgendwann sah auch er ein, dass H ä hnchen nirgendwo “ nachschaute ” , sondern einfach nur sein Spiel mit uns getrieben hatte.
Dass wir von der
Amnestie unber ü cksichtigt
blieben, nahm uns alle drei arg mit. In den letzten Monaten war es nie sehr
lustig auf II/West zugegangen, doch nun herrschte Weltuntergangsstimmung, die
sich ü ber Wochen
hinzog.
Aber die Zeit
hilft bekannterma ß en ü ber jede Entt ä uschung hinweg,
so auch diesmal. Ich begann mir mehr Gedanken ü ber meine Mitgefangenen zu machen. Insbesondere mein
Verh ä ltnis zu Mario
bedurfte einer Korrektur.
Mit der Zeit
hatte ich meine Meinung ü ber ihn ge ä ndert. Seine
Straftaten waren schrecklich und verabscheuungsw ü rdig, keine Frage. Aber was machte es f ü r einen Sinn,
ihn deswegen permanent wie Luft zu behandeln? Er war ruhig und hilfsbereit.
Warum also sollte ich mit ihm nicht eine Art Notpartnerschaft eingehen?
Dasselbe galt f ü r Andreas. Wir lebten auf engstem Raum zusammen und konnten uns nicht
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