das gutenberg-komplott
durch die geschlossene Wo l kendecke fiel, wurden für Geschäfte aller Art genutzt. Es ni e selte. Eine alte Frau trug ein Reisigbündel auf ihren Schultern, und einer der Äste streifte Bolognas Wange. Er fluchte auf It a lienisch.
Bologna schwenkte nach rechts, ging an St. Christoph vorbei und näherte sich der Karmeliterkirche. Zwischen einer Schre i nerei und dem Atelier eines Wandmalers lag Günther Hennings Goldschmiede-Werkstatt. Das Fachwerkgebäude wirkte baufä l lig. Eine an der Decke befestigte Glocke bimmelte hell, als B o logna den Laden betrat. Der Meister und sein Lehrling schauten von ihrer Arbeit auf.
Kaum hatte Henning den Besucher erkannt, als er den Kopf nach hinten wandte und zu dem blassen, groß gewachsenen Jungen sagte: »Schluss für heute, mach Feierabend!«
Dem Lehrling kam die Mitteilung recht: Innerhalb weniger Augenblicke hatte er seine Zange und ein Stück Silberdraht zur Seite gelegt, seine blaue Arbeitsschürze ausgezogen und eilte, dem Meister und Bologna kurz zunickend, aus dem Raum. Die Holztreppe knarrte, als er ins obere Stockwerk ging.
Bologna zog einen Stuhl heran und setzte sich an den A r beitstisch des Goldschmieds; so konnten sie sich leise unterha l ten. Henning war damit beschäftigt, in einen goldenen Buchd e ckel einen Rubin einzulegen.
»Für wen ist das?«, fragte Bologna.
»Das haben unsere Domherren in Auftrag gegeben, ein Messbuch für die hohen Festtage. Ich bin froh, dass ich übe r haupt noch Arbeit bekomme, die Lage war noch nie so ang e spannt. Selbst den Adligen und dem Klerus sitzt das Geld nicht so locker wie früher. Die Teuerung macht allen zu schaffen.«
»Wem sagst du das?!« Bologna betrachtete den Edelstein, dessen rötlicher Glanz ihn im Schein einer Kerze an Taubenblut erinnerte. »Der Stein scheint recht wertvoll zu sein.«
Henning nickte. »Was meinst du, was ich früher zu tun hatte. In dieser Werkstatt«, und er machte eine vage, ausladende Armbewegung, »haben früher einmal außer mir drei Gesellen und zwei Lehrlinge gearbeitet. Jetzt kann ich es mir kaum lei s ten, den einen Lehrling, der mir geblieben ist, durchzufüttern.«
Bologna betrachtete nachdenklich den Raum, der für zwei Leute tatsächlich zu groß war. Auf den Werkbänken, an denen früher Hennings Mitarbeiter saßen, lagerte Staub, und sie die n ten als Ablagefläche für Kisten und Arbeitsgeräte. Bologna wusste, dass Hennings Geschäfte geblüht hatten, ehe die schlechten Zeiten kamen, und momentan stand seinem wic h tigsten Informanten und Partner das Wasser bis zum Hals.
Die beiden Männer waren äußerlich sehr verschieden. B o logna, klein, schmal, fast zierlich, hatte schwarze, kurz g e schnittene Haare und dunkle Augen. Henning dagegen war e i nen Kopf größer, ein stämmiger, breitschultriger Mann, dessen wuchtiger Schädel ohne Hals direkt auf dem Rumpf zu sitzen schien. Er war älter als Bologna, Mitte fünfzig vielleicht, und seine Locken, spärlich an manchen Stellen, hatten eine graue Färbung angenommen. Henning trug auf Oberlippe und Kinn einen gepflegten Bart.
»Ich habe Nachricht erhalten«, sagte Bologna, »dass der Richter nicht an einen Raubmord glaubt. Offenbar gibt es e i ne Spur, die zum Dombaumeister führt.«
»Dann hatte Metz vermutlich ein Verhältnis mit Klara.«
»Wir haben die gute Frau unterschätzt – zumindest ihren Kundenkreis.«
Der Goldschmied rieb mit Daumen und Zeigefinger an se i nem Kehlkopf. »Der Mord macht mir Angst«, sagte er.
»Glaubst du, mir kommt das gelegen.«
Musste Bologna sich wegen Henning Sorgen machen? Er war über die Lebensgeschichte des Goldschmieds gut unterric h tet. Henning stammte aus ärmlichen Verhältnissen. Er wurde als Sohn eines Tagelöhners und einer Magd geboren. Aber er wol l te nicht von der Hand in den Mund leben wie seine Eltern. Der erste Schritt, dem vorgezeichneten Weg der Armut zu entko m men, war die Lehrstelle als Goldschmied gewesen, die er sich hart erkämpfen musste. Henning bestand die Gesellenprüfung, ging auf Wanderschaft, und einige Jahre später führte er selbst den Meistertitel. Er heiratete die Tochter eines Augsburger Pa t riziers und eröffnete eine Werkstatt in Straßburg, die nach a n fänglichen Schwierigkeiten etwas Gewinn abwarf. In der Hof f nung auf bessere Geschäfte übersiedelte er nach Mainz. Mit t lerweile konnte er seine achtköpfige Familie aber kaum noch ernähren und brauchte dringend Bolognas Geld.
»Hast du mit Busch geredet?«, fragte Bologna.
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