das gutenberg-komplott
Klara hat sie irgendwo versteckt!«, sagte Henning. »Es wäre am klügsten, wenn wir uns eine Weile ruhig verhalten und gar nichts unternehmen.«
»Hast du nicht begriffen, wie sehr die Zeit drängt? Hier fi n det ein Wettlauf statt, wir können nicht untätig zusehen.« B o logna hielt inne und zeigte auf eine Initiale. »Schau nur, wie her r lich!«
»Was ist das?«, fragte Henning abwesend.
»Die Kundschafter mit der Riesentraube. Moses hatte sie ausgesandt, um das Land Kanaan zu erkunden, und sie kehren mit einer Traube zurück, die so schwer ist, dass Josua und K a leb sie auf einem Stock tragen müssen. Die Traube ist ein Sy m bol, mein Freund, so wie alle Erzählungen der Bibel einen mehrfachen Schriftsinn enthalten.« Bologna schaute dem Gol d schmied in die Augen. »Die Traube bedeutet Überfluss, sie kündet von künftigem Reichtum.« Und damit klappte er das Buch zu …
10.
T
homas war froh, in seiner neuen Wohnung zu sein, und er hatte es sich nach einem anstrengenden Tag bequem g e macht. Steininger hatte ihn – vorübergehend, wie er sagte – in einem der Türme untergebracht, die den westlichen Teil der Stadtmauer zum Fluss hin überragten. Es gab an dieser Ste l le kein großes Tor für Lastkarren, sondern nur einen kleinen Durchlass neben dem Turm in der Mauer. Sein Vorgänger hatte in einem Haus am Markt gewohnt. Der Turm hatte sechs G e schosse, in denen teilweise Wa f fen der Stadtwache und der Bürgerwehr lagerten, und im lang gezogenen, steilen Dach z u sätzlich vier Fenster. Vier Erker in der Form von Miniaturtü r men flankierten das Dach. Zwei boten Blick auf den Hafen, den Fluss und das weitgehend flache Umland mit vereinzelten Or t schaften; die and e ren beiden lagen zur Stadt hin.
Im Erdgeschoss befand sich der Wohnraum mit Kamin. Auf einem Tisch in der Mitte des Raums stand ein Krug mit Wein, ein Laib Brot lag dort und Käse und ein Beutelbuch, wie man es auf Reisen bei sich trug. Thomas saß auf einem Schemel, hatte die Stiefel ausgezogen und streckte seine verfrorenen Füße dem Fe u er entgegen. Aber es gelang ihm nicht, sich zu entspannen, denn der Mordfall beschäftigte ihn weiter, und er dachte an den Baumeister und seine Frau. Konnte man Metz einen Mord z u trauen? Oder war – falls seine Frau von einem Verhältnis mit Klara Roth wusste – ein Verbrechen aus Eifersucht denkbar? Aber warum hätten sie das Messer am Tatort zurücklassen so l len?
Es klopfte, und Thomas, der mit keinem Besuch mehr rec h nete, schaute missmutig zur verriegelten Tür; auch die Fenste r läden waren geschlossen. Er ging zum Eingang und legte die Hand an das Schloss: »Wer ist dort?«
»Ich bin’s, Katharina!«
Thomas machte auf, und sie stand in einem langen, dunke l roten Mantel vor ihm; um den Kopf hatte sie ein Tuch gebu n den, das im eisigen Wind flatterte. Er trat zur Seite und ließ sie herein. Die Flammen im Kamin sorgten auf ihrem geröteten G e sicht für ein eigenartiges Licht-und-Schatten-Spiel. Sie löste das Tuch und warf es achtlos auf eine Truhe. Thomas schaute die Gasse hinauf und hinunter, ehe er die Tür zumachte. Kath a rina Roth hatte bei ihm um diese Zeit nichts zu suchen. Seine Position in der Stadt stand ohnehin auf wackligen Füßen. And e rerseits hasste er Konventionen, und er hatte oft das G e fühl, in der falschen Zeit zu leben.
»Ich muss mit dir sprechen«, sagte sie.
»Hat das nicht Zeit bis morgen?«
»Ich habe meinen Eltern gesagt, dass ich in die Messe gehe.«
»Und falls sie herausfinden, dass du nicht dort warst?«
»Dann sage ich, ich hätte eine Freundin getroffen.«
Er wies auf den Tisch. »Ich wollte gerade essen.«
»Gib mir Wein!«
Sie setzten sich, und er füllte zwei Becher. Sie fragte ihn, wie er den Tag verbracht habe, und er berichtete ihr über die G e spräche vom Nachmittag. »Den Mord traue ich Metz nicht zu«, sagte Thomas, »aber er verschweigt etwas. Ich vermute, dass er ein Verhältnis mit Klara hatte. Aber wie soll ich das bewe i sen?«
»Auch ich habe dir etwas verschwiegen«, sagte Katharina. »Deshalb bin ich hier.«
Er erwiderte nichts, und sie fuhr fort: »Du hast mich gefragt, ob Klara einen Liebhaber hatte. Ich konnte damals nicht da r über reden. Sie hatte nicht nur einen Liebhaber, sie hatte viele! Wenn ihr ein Mann gefiel, dann ließ sie sich mit ihm ein. Sie hat da r über – ohne Namen zu nennen – offen gesprochen. Auf diese Weise ist sie auch an das Köhlerhaus gekommen. Sie ha t te ein Verhältnis
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