Das Habitat: Roman (German Edition)
Nebengebäude, schälten sie die Umrisse eines Menschen deutlich heraus. Auch er hatte mich gesehen – ebenso deutlich wie ich ihn. Ich konnte seine Schritte hören, als er zu mir herüber eilte.
Es war einer der älteren Jungen. Er baute sich breitbeinig vor mir auf. Sein Gesicht war nur wenige Zentimeter von meinem entfernt, so dass ich ihn in der Dunkelheit gut sehen konnte.
„Du willst dich bei diesem Höllenwetter, doch nicht etwa nach draußen begeben?“, fragte er scheinbar arglos. Doch war aus seinem Ton die deutliche Warnung zu vernehmen, die ich schon zuvor aus seiner Stimme – genauso wie aus der Jamersons – hatte heraushören können.
„Ich... mir drückt die Blase“, stotterte ich.
Er maß mich eine lange Zeit schweigend und mit misstrauischem Blick, dann nickte er brummend. Er trat einen Schritt zur Seite und ließ mich passieren.
Ich überlegte blitzschnell: Sollte ich mich davonstehlen wie ich war und Kayleigh zurück lassen? Der Gedanke versetzte mir einen heftigen Stich. Außerdem, wie weit würde ich kommen, zu Fuß und bei diesem Wetter?
Doch dann wurde mir die Entscheidung abgenommen. Als ich an dem Jungen vorbei war und mich gerade anschicken wollte, über den Vorplatz zu laufen, packte er mich fest von hinten an der Schulter.
„Du willst doch nicht in den Regen hinaus. Du kannst das, was du zu tun hast, genauso gut hier unter dem Vordach erledigen. Der Regen spült es schon weg.“ Dabei deutete er zum rechten Ende der Gebäudefront.
Nun wurde mir klar, er würde mich keinen Augenblick aus den Augen lassen. Und noch etwas wurde mir deutlich – wenngleich auch ich es bereits geahnt hatte – ich war eine Art Gefangener des alten Jamerson. Doch warum? Was hatten er und seine Kinder mit mir vor? Wenn es nur um meine Habseligkeiten ging – diese hatten sie doch längst unter sich verteilt. Und Kayleigh? Die Stute war ein hervorragendes Tier und würde bei einem Verkauf sicherlich eine Menge Geld einbringen. Doch um so weniger verstand ich, warum sie mich dann nicht gehen lassen wollten. Konnten sie nicht froh sein, wenn ich verschwand und ihnen das Pferd – sowie alles was ich besaß – zurückließ?
Trübe Gedanken machten sich in meinem Geist breit.
Jamersons Kinder
Ein Fußtritt in die Rippen schreckte mich aus dem Schlaf.
Nachdem ich mich wieder auf mein Lager verkrochen hatte, hatte ich mich in die Decke eingerollt, die Jamersons Kinder mir glücklicherweise gelassen hatten. Lange war ich noch wach gelegen und hatte darüber gegrübelt, wie ich mich wohl aus meiner misslichen Lage befreien könnte. Irgendwann war ich schließlich doch eingeschlafen.
Ich fuhr hoch. Es war einer der älteren Jungen, der mir spöttisch entgegensah.
„Wenn du etwas zum Frühstück haben willst, dann kannst du dich auch nützlich machen. Wir können schließlich niemand umsonst durchfüttern! Wer essen will muss auch Arbeiten. Verstanden!“
Ich nickte. Mir war klar, dass ich mir jeden Hinweis darauf, dass es meine Lebensmittel waren die sie sich da einverleibten, besser verkniff.
Ich sah mich um. Alle waren bereits auf und mit irgendetwas beschäftigt. Jeder schien seine Aufgabe zu haben. Bis auf den Jungen der mich in der Nacht an der Tür abgefangen hatte. Dieser schlief noch, in einer Ecke zusammengerollt.
„Du gehst mit Mary und Thomas ins Haus gegenüber und suchst nach Brennholz.“
Mein Schweigen schien er als Begriffsstutzigkeit aufzufassen.
„Na, Möbel eben! Oder Bilder. Je nachdem was da ist und halbwegs trocken!“, erklärte er ungehalten. „Mary und Thomas wissen schon, was zu tun ist.“
Mir war klar, dass es besser war, mich nicht zu widersetzen. So schickte ich mich also an, zu tun was er verlangte.
Draußen regnete es noch immer wie in Strömen – doch zumindest schien der Sturm nun entgültig, an Kraft verloren zu haben. Wir wollten uns gerade aufmachen, nach draußen zu gehen, da trat Jamerson neben mich.
„Tobin“ (er deutete mit einem Kopfnicken auf den Schlafenden) „hat dem alten Jamerson erzählt, du warst heute Nacht draußen.“
Ich antwortete nichts.
„Du solltest das nicht tun. Nicht bei diesem Wetter. Der alte Jamerson möchte nicht, dass eines seiner Kinder krank wird.“
Seine Stimme klang väterlich – ja fast gütig –, doch wieder war die Drohung darin deutlich zu vernehmen.
Und noch etwas fiel mir auf – nun, da er mir bei Tageslicht so gegenüber stand, war es unverkennbar – die Finger seiner rechten Hand waren
Weitere Kostenlose Bücher