Das Habitat: Roman (German Edition)
Landkreis hervorgerufen hatte. Das würde in anderen Gegenden sicherlich nicht anders sein. Früher oder später, so sagte ich mir, würde ich einen Hinweis erhalten, der mir weiterhelfen würde.
In der Nacht schrak ich plötzlich hoch. Kayleigh schnaubte unruhig und trat nervös mit den Hufen auf. Ich saß aufrecht da und lauschte in die Finsternis. Nur der Regen war zu hören, der draußen zu Boden plätscherte. Der Wind strich durch die Ruinen. Mittlerweile schien er, zu einem Sturm angewachsen zu sein. Aus weiter Ferne war Donnergrollen zu hören. Doch dann – für einen winzigen Augenblick nur – schien die Luft plötzlich scharf aufheulen. Es klang wie das Fauchen eines Raubtieres. Unwillkürlich kam mir die Nacht des Feuers in den Sinn. Ich hielt den Atem an. Doch nur Kayleighs Schnauben war noch zu hören. Als hätte der Sturm draußen eine kleine Atempause eingelegt.
Ich wollte mich gerade erheben und hinüber zur Tür gehen, um einen Blick nach draußen zu werfen, da sah ich aus den Augenwinkeln heraus, wie durch die glaslosen Fenster ein Lichtschein zu mir hereindrang. Einen Wimpernschlag lang nur – dann war er auch schon wieder verschwunden. Ich erstarrte. Da! Da war er wieder! Doch wenn ich auch geglaubt hatte, jenes weiße flackerlose Licht würde gleich zu mir hereinscheinen – dieses Licht war anders. Es war deutlich erkennbar der Schein einer Laterne.
Mit einem lauten Quietschen öffnete sich die schwere Holztür.
Das Licht fiel herein zu mir und blendete mich für einen Moment. Ich zwinkerte. Als meine Augen sich an die Helligkeit gewöhnt hatten, konnte ich die Konturen eines gebeugten Mannes ausmachen. Der Fackelschein erhellte ein bärtiges Gesicht, dessen Alter ich nicht einmal annähernd einzuschätzen vermochte. Er starrte mir ausdruckslos entgegen. Bevor ich jedoch meiner Überraschung Herr werden konnte, schälten sich immer mehr Gestalten aus der Nacht. Eine nach der Anderen drängten sie nun in den Raum. Ich fuhr hoch. Kayleigh tänzelte nervös hin und her. Dann hatten die Gestallten mich auch schon umringt. Es waren Kinder. Vier davon waren Jungen, die in etwa in meinem Alter waren. Die anderen waren jünger. Das jüngste – ein Mädchen – war wohl gerade mal fünf oder sechs Jahre. Sie schienen nicht direkt feindselig zu sein, doch drückten ihre Blicke zumindest deutliches Misstrauen aus. Sie musterten mich, aus ihren schmutzigen Gesichtern heraus, von oben bis unten. Keines sprach ein Wort. Auch ich verhielt mich stumm. Dann zerschnitt die krächzende Stimme des Mannes, der noch immer in der Tür stand, die Stille:
„Du bist keiner von ihnen?“
Ich verstand nicht. Keiner von ihnen? Was meinte er? Ich beschloss, vorsichtig zu sein.
„Mein Name ist Liam“, sagte ich mit unsicherer Stimme. Er jedoch gebot mir mit einer Handbewegung zu schweigen. Er trat näher. Seine Blicke wanderten langsam an mir herab und schließlich wieder hinauf zu meinem Gesicht. Dort ruhten sie nun. Lange starrte er mich einfach nur so an. Schließlich jedoch schien er, zu einem Entschluss gekommen zu sein.
„Nein, du bist keiner von ihnen!“
Er war über diese Feststellung offenbar sehr befriedigt.
Ich wusste nicht recht, was ich von seinen Worten zu halten hatte. Doch was immer er auch damit gemeint hatte, es schien auf jeden Fall besser für mich zu sein, dass ich keiner von ihnen war.
Die Gesichter ringsum entspannten sich etwas. Ihre Blicke blieben jedoch nach wie vor misstrauisch und wachsam.
„Nun, für diese Nacht darfst du bleiben“, brummte der Alte.
Als ich ihn verwirrt ansah, machte er eine weitausholende Geste.
„Das alles hier gehört dem alten Jamerson.“
Offenbar musste mein Blick noch ratloser gewesen sein als zuvor, denn er deutete nach kurzem Schweigen auf sich selbst.
„Das hier, das ist Jamerson. Du hast ihn direkt vor dir, den Herren dieses Anwesens. Dies hier ist Jamersons Reich!“
„Dieser Turm?“
Er nickte bekräftigend.
„Diese Feste...“ Die Geste, die er nun machte, schien noch weit ausladender, „die Häuser, die Ländereien ringsum, sowie alles Land soweit das Auge reicht!“
Ein seltsamer Ton schwang dabei in seiner Stimme. Ich fragte mich, ob dieses gesamte Land tatsächlich ihm gehörte, oder ob er womöglich nicht ganz bei Sinnen war. Die Art seines Auftretens jedenfalls ließ stark darauf schließen. Ich beschloss, auf der Hut zu sein. Es wäre sicherlich nicht gut, würde ich ihn reizen – das war mir sofort klar
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