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Das Habitat: Roman (German Edition)

Das Habitat: Roman (German Edition)

Titel: Das Habitat: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Luzius
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geworden.
    Das kleine Mädchen hatte sich während der ganzen Zeit an sein rechtes Bein geklammert. Jamerson strich ihr liebevoll über den Kopf.
    Dann wandte er sich ohne ein weiteres Wort ab, und begann damit, sein Lager aufzuschlagen. Die jüngeren Kinder taten desgleichen. Nun erst bemerkte ich, dass zwei der älteren Jungen ungeniert meine Habseligkeiten durchwühlten. Ich wollte protestieren, doch mir steckte ein Klos im Hals. Der älteste der Jungen war gut einen Kopf größer als ich. Seine misstrauischen Augen verfolgten jede meiner Bewegungen, wie eine unausgesprochene Drohung.
    „Ein schönes Pferd hast du da“, sagte er.
    Ich nickte.
    „Du hast doch sicher nichts dagegen, wenn ich es mir einmal näher ansehe.“
    Seine Stimme war freundlich – fast gutmütig im Ton –, doch seine Körperhaltung und die Blicke der anderen Kinder, die nun wieder auf mir ruhten, ließen mich ahnen, dass es eine schlechte Idee wäre, zu widersprechen.
    Jetzt erst nahm ich war, dass die beiden Jungen, die sich über meine Habseligkeiten hergemacht hatten, damit begonnen hatten, alles Essbare das sie fanden, unter den Übrigen aufzuteilen.
    „Hey“, entfuhr es mir krächzend. „Das sind meine Lebensmittel!“
    Nun sah der alte Jamerson wieder auf. Seine eisgrauen Augen blickten mir fest entgegen.
    „Du wirst Jamersons Kinder doch nicht hungern lassen wollen, während du selbst im Überfluss schwelgst?“, fragte er. Seine Stimme klang dabei wie die eines gütigen Vaters. Dennoch hatte sie einen scharfen Unterton, der, kaum merklich zwar, mir dennoch durch Mark und Bein ging.
    „Nein...“, hörte ich mich selbst sagen. „Natürlich nicht!“
    „Bist’n netter Junge“, brummte er darauf. Und so wie er es sagte, klang er wie ein Gutsbesitzer, der einen folgsamen Hund lobte. „Wirklich ’n netter Junge.“
    Dann wandte er sich wieder von mir ab und beachtete mich nicht weiter.
    Ich stand hilflos da und musste mit ansehen, wie all meine Habseligkeiten verschwanden. Zurück blieb nur mein leerer Beutel. Doch auch dafür würden Jamersons Kinder Verwendung haben, dessen war ich mir sicher. Tränen der Wut traten mir in die Augen, doch das wollte ich mir nicht anmerken lassen. Ich beschloss, vorerst gute Mine zum bösen Spiel zu machen, und mich, sobald alle schliefen, davon zu machen. Vielleicht würde es mir ja sogar gelingen, einen Teil meiner Habseligkeiten zu retten.
     
     
    Leise richtete ich mich auf. Das Rauschen des Regens wurde nur unterbrochen von Jamersons röchelndem Schnarchen. Draußen tobte noch immer der Sturm. Vereinzelt erhellte ein entfernter Blitz den Raum etwas und tauchte ihn in ein gespenstisches Leuchten. Ich prägte mir die kurzen Bilder ein so gut es ging, um mich nach ihnen orientieren zu können.
    Ich hatte lange gewartet, bis ich mir sicher gewesen war, dass alle schliefen. Nachdem sich niemand mehr um mich geschert hatte, hatte ich mich in eine Nische nahe der Wand zurückgezogen und mich bald schon schlafend gestellt. Doch es hatte noch eine ganze Weile gedauert, bis die leisen Gespräche schließlich ganz verstummt waren.
    Gut zwei Stunden mochten wohl seither vergangen sein. Doch ich wollte ganz sicher gehen, dass niemand mein Verschwinden bemerken würde. Lange hatte ich überlegt, wie ich Kayleigh nach draußen führen könnte, ohne dass ihr Hufgetrappel die Schlafenden wecken würde. Ich war schließlich zu dem Schluss gekommen, sie so leise wie möglich zu satteln, dann vorsichtig die Tür zu öffnen, mich zurück zu schleichen, aufzusitzen, und durch die offene Tür davon zu galoppieren.
    Kayleigh zuckte leicht zusammen, als ich mich ihr näherte, gab jedoch keinen Ton von sich, wofür ich ein Dankgebet zum Himmel schickte. Keiner der Schlafenden schien zu bemerken, was vor sich ging. Das Vorhaben, mir wenigstens einen Teil meiner Sachen zurückzuholen, ließ ich fallen. Ich wäre nur Gefahr gelaufen, eines der Kinder aufzuwecken, wenn ich bei dieser Dunkelheit zwischen ihnen umherstolperte.
    Die Tür gab ein leises Quietschen von sich, als ich sie, Zentimeter für Zentimeter, immer weiter öffnete. Kaum hörbar war dieses Geräusch – mir jedoch kam es vor wie ein lauter gequälter Schrei.
    Dann endlich hatte ich es geschafft. Ich wollte mich gerade umwenden und zu Kayleigh zurück schleichen, da erhellte plötzlich ein Blitz den Nachthimmel und tauchte den Vorplatz in gleißendes Licht. Ich schrak heftig zusammen. Nur wenige Schritte vor mir, unter dem Vordach eines der

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