Das hätt' ich vorher wissen müssen
ich?«
»Introvertiert. Du mußt mal ein bißchen aus dir herausgehen!«
»Meinetwegen, aber nicht gleich bis nach Frankfurt!«
Sascha bohrte weiter. Er bezeichnete mich als verklemmt, als hinterrückständig, weil ich mich nicht ohne Begleitung zu einer albernen Party traute, Kaiser Wilhelms Zeiten seien doch nun wohl endgültig vorbei, und wenn ich mich in meinen Büchern immer als so emanzipiert hinstellte, dann sollte ich das gefälligst auch mal beweisen.
Das saß! Trotzdem wollte ich mich nicht so ohne weiteres geschlagen geben. »Erstens habe ich nichts anzuziehen, und zweitens kriege ich fünf Wochen vor Messebeginn in ganz Frankfurt kein Hotelzimmer mehr. Glaubst du etwa, ich nuckel den ganzen Abend an einer Sprudelflasche, damit ich mich hinterher nüchtern ans Steuer setzen kann?«
»Hm«, überlegte er, »da müßten wir allerdings noch etwas organisieren, aber das dürfte nicht weiter schwierig sein. Notfalls nehme ich mir Urlaub und fahre dich.«
»Und wo verbringst du die Wartezeit?«
»Och, das wird wohl in Frankfurt nicht weiter schwierig sein. Ich wollte schon immer mal einen Streifzug durchs Bahnhofsviertel machen.«
Du lieber Himmel, nur das nicht! Am Ende versackte er dort, und ich konnte sehen, wie ich mitten in der Nacht heimkam. Vom moralischen Aspekt ganz zu schweigen. Mit seinen fast einundzwanzig Jahren konnte ich ihm zwar keine Vorschriften mehr machen, allenfalls Ratschläge geben, jedoch die beste Methode hierfür war nach meiner Erfahrung, daß ich erst einmal feststellte, was er eigentlich wollte, und ihm das dann riet.
Diesmal ging das nicht. Ausgerechnet Bahnhofsviertel!!! Der Unterschied zwischen Halbstarken und Männern? Lediglich der Preis für ihre Spielsachen!
»Da habe ich eine viel bessere Idee! Du kommst ganz offiziell mit zu diesem Empfang.«
Sascha sah mich nur mitleidig an. »Sag mal, Määm, tickst du nicht ganz richtig? Ich geh doch nicht freiwillig zu einer von diesen Stehpartys, wo zehn Prozent der Anwesenden neunzig Prozent des kalten Büfetts auffressen und die anderen damit beschäftigt sind, über Leute herzuziehen, die gerade mal nicht da sind.«
»Aber mich willst du unbedingt hinschicken!«
»Bei dir ist das was anderes. Du gehörst ja jetzt zu diesem elitären Klüngel.«
Bei uns in der Familie herrscht Demokratie, und die macht es notwendig, sich gelegentlich den Ansichten anderer Leute anzupassen. Ich beugte mich der Mehrheit und schickte die U.A.w.g.-Karte mit einem Ja-Kreuz an den Verlag zurück. Alea jacta est!
Daß ich nichts Passendes anzuziehen hatte, war mir bei einer flüchtigen Inspektion meines Kleiderschranks sofort klar. »Spätabendlicher Empfang« bedeutete zweifellos etwas Bodenlanges oder wenigstens ein Kleid, das bis zur Wade ging und festlich aussehen mußte. Im Sommer ist das Angebot in dieser Branche nicht eben üppig, und was man mir an dunkelgrünem Taft und weinroter Halbseide offerierte, war ausnahmslos scheußlich und außerdem viel zu jugendlich.
»Das können Sie aber ganz ausgezeichnet tragen!« Emsig zupfte die Verkäuferin an den aufgebauschten Keulenärmeln herum, »50 ist heute das, was früher mal 40 war.«
Ich war zwar erst 47, aber das Altern hätte ich trotzdem lieber dem Kognak überlassen. Und überhaupt hatte die Verkäuferin trotz ihrer gefärbten Haare mindestens fünf Jahre mehr auf dem Buckel als ich, auch wenn sie es nicht wahrhaben wollte. Wie konnte man zu rotem Afrolook ein rosa Sackkleid anziehen? Die hatte sowieso keinen Geschmack, also nichts wie raus aus dem Laden!
Die anderen Geschäfte hatten aber auch nichts zu bieten, was nur im entferntesten meiner Vorstellung entsprach, und so kam ich abends mit zwei wunderhübschen Pullis für die Zwillinge zurück, während für mich lediglich Strumpfhosen abgefallen waren, die auch noch die falsche Farbe hatten. Bei Tageslicht waren sie grünlich statt grau.
Als Sascha das nächste Mal bei uns einfiel und eine Vorführung meines Festkleids forderte, mußte ich gestehen, daß ich nichts gefunden hatte und wohl doch auf mein Beerdigungskostüm zurückgreifen müßte. Worauf er beschloß, die Angelegenheit nunmehr selbst in die Hand zu nehmen. »Am langen Samstag fahren wir zusammen nach Stuttgart. Bei Jeannettes Mutter kriegst du garantiert was. Da kauft Frau Kiesinger ein und Frau Rommel und Frau Späth – also die ganze schwäbische Prominenz.«
»Die bekommt vom Staat Aufwandsentschädigung. Ich nicht. Für eine Nobelboutique fehlt mir das
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