Das hätt' ich vorher wissen müssen
Manuskripte ins Haus geschickt, die ich lesen, beurteilen und nach Möglichkeit gleich an den richtigen Mann bringen sollte. Ich habe keine Ahnung, weshalb man jemanden, der einige harmlose Bücher geschrieben hat, sofort für befähigt hält, die Arbeiten anderer zu beurteilen. Meistens weiß er ja selber nicht, ob das, was er da monatelang ausgebrütet hat, überhaupt Gnade vor den Augen der grauen Eminenz findet. Die hat jeder Verlag. Man nennt sie Lektor.
In der Regel hat ein Lektor irgend etwas studiert, meistens Germanistik, was ihn berechtigt, die Werke weniger gebildeter Mitmenschen auf stilistische und grammatikalische Fehler zu durchforsten. »Hier hätten Sie den Konjunktiv anwenden müsssen!« heißt es zum Beispiel, worauf der genervte Autor zum Duden greift und nachschlägt, was denn um alles in der Welt ein Konjunktiv überhaupt ist. Immerhin liegt die Schulzeit schon ein paar Jahrzehnte zurück.
»Nebensätze dritten Grades sollten Sie vermeiden«, heißt es bei einer anderen Gelegenheit, »sie verbessern nicht unbedingt die Ausdrucksweise.« Der Autor, dem dieser beanstandete Absatz ohnehin nie so recht gefallen hat, verweist trotzdem auf Thomas Mann, der es bekanntlich zu einer wahren Perfektion in Schachtelsätzen gebracht hatte. Worauf der Lektor dem Autor mitteilt, daß Thomas Mann erstens seit längerem tot und somit bereits den Klassikern zuzuordnen sei, und zweitens den Nobelpreis bekommen habe, den man selber wohl kaum erwarten dürfe. Der Autor kann sich der Richtigkeit dieser Prognose nicht verschließen und schreibt den betreffenden Absatz um.
Hat das Manuskript endlich das erste Hindernis überwunden, droht sofort das nächste. Diesmal heißt es Korrektor, und der ist – zumindest nach seiner Ansicht – der zweitwichtigste Mann im Getriebe.
Ein Korrektor hat in den seltensten Fällen etwas studiert, verfügt jedoch über eine jahrzehntelange Erfahrung im Aufspüren von falsch gesetzten Kommas und ähnlichen Feinheiten, über die der Autor während seiner geistigen Höhenflüge großzügig hinwegsieht, und die der Lektor auch nicht immer findet. Bekommt der Autor schließlich die Fahnenabzüge zugeschickt, um einen letzten prüfenden Blick auf sein fast fertiges Werk werfen zu können, stellt er mitunter fest, daß der Korrektor ihm unverständlich erscheinende Begriffe oder Zusammenhänge höchst eigenmächtig geändert hat. So las ich einmal mit Erstaunen, daß mein Sohn Sven Klavier spielte – ausgerechnet der einzige meiner Nachkommen, der wegen permanenten Falschsingens vom Schulchor befreit worden war. In meinem Manuskript hatte er ja auch nur Kavalier gespielt.
Sollten einem ehemaligen Luftschutzwart meine »Pellkartoffeln« in die Hände fallen, so wird dieses Buch bestimmt seine letzten Zweifel beseitigen, weshalb wir den Krieg verloren haben. Die darin geschilderte Feuerlöschübung habe ich hier bei uns im Garten noch einmal nachvollzogen, und zwar genauso, wie ich sie angeblich beschrieben haben sollte. Ich habe mir dabei fürchterlich die Finger verbrannt, und das verkohlte Rasenstück ist auch erst im nächsten Jahr wieder zugewachsen. Vermutlich gehörte jener Korrektor, der da in meinem Text herumgewurstelt hatte, zur Nachkriegsgeneration und war den Umgang mit sandgefüllten Papiertüten nicht gewöhnt.
Eine Quelle wochenlanger Erheiterungen waren die Briefe des Freiherrn aus Bayern, der sein Briefpapier mit Körnchen schmückt und auch sonst nicht gerade an fehlendem Selbstbewußtsein leidet.
»Ich glaube, jetzt kriegst du einen ersten Heiratsantrag!« vermutete Sascha, als ich das Foto aus dem Umschlag zog. Es zeigte einen flotten Sechziger in Uniform mit ordensgeschmückter Hemdbrust. Den beigefügten Fotokopien diverser Ausweise und Mitgliedskarten entnahm ich, daß er Ehrenpräsident mehrerer Vereine ist, Dr. h. c. Weltkrieg-Zwo-Teilnehmer, Pressemensch, Sektionspräsident von irgend etwas, Teilnehmer eines Seminars für slawische Philologie und natürlich eingeschriebenes Mitglied der CSU.
Während ich noch über Sinn und Zweck dieser eindrucksvollen Sammlung grübelte, hatte Sascha sich über den Brief hergemacht. »Du erlaubst doch?«
Es stellte sich heraus, daß der Freiherr ebenfalls in Berlin-Zehlendorf gewohnt hatte, allerdings ein Ende weg von uns, aber auch er hatte in der Ladenstraße eingekauft und kannte sowohl Rodelbahn als auch die Krumme Lanke. So weit, so gut. Nur dienten diese Gemeinsamkeiten lediglich als Präliminarien für den
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