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Das Hagebutten-Mädchen

Das Hagebutten-Mädchen

Titel: Das Hagebutten-Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lüpkes
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damit kaum um die Ecke kam. Und doch zwängte sie sich voran, und während Henner mit schleppenden Schritten zur Tür ging, versteckte sie das seltsame Ding unter dem riesigen Bett, in dem Kai und Henner gelegen hatten.
    Die Erinnerung an damals tat immer noch weh. Sie konnte sich nicht dagegen wehren, dass sie beim Anblick des Bettes eiskalt erwischt wurde. Es war fünfzehn Jahre her und es würde nie aufhören.
    Als sie wieder in das Wohnzimmer zurückkam, standen dort die Leute von der Polizei. Der schlanke, attraktive Vertretungspolizist, den Astrid schon ein paar Male in diesem Winter auf der Straße getroffen hatte, und eine ihr unbekannte junge Frau, rothaarig, klein, gut gekleidet. Sie kam auf Astrid zu und wirkte nicht unsympathisch. Lächelnd streckte sie Astrid die Hand entgegen. »Wencke Tydmers, Mordkommission Aurich, und Sie sind Frau Kreuzfeldt?«
    Und da wurde Astrid klar, dass man ihren Namen bereits mit ins Spiel gebracht, dass irgendein Juister schon die alte Geschichte im Polizeirevier aufgewärmt hatte. Zum Glück schien sich die Kommissarin ansonsten nur für ihren verstörten Bruder zu interessieren: Wo er gestern Abend gewesen sei, wie sich sein Verhältnis zu Kai Minnert gestaltet hätte. Ob er sich vorstellen könne, was vorgefallen sein musste.
    Henner antwortete brav und harmlos mit kurzen Sätzen:
    »Ich war spazieren.« – »Wir haben uns sehr geliebt.« – »Ich habe keine Ahnung, wie das passieren konnte.« Astrid wartete, dass er das Akkordeon erwähnte oder dass diese Kommissarin Tydmers ihn nach dem Instrument fragte, schließlich machte sie einen wirklich cleveren Eindruck. Sie wanderte mit ihren Augen in der Wohnung umher und man merkte ihr an, dass sie Henners Worten ganz genau lauschte. Aber sie kommentierte sie nicht und erwähnte das Schifferklavier mit keiner Silbe.
    Spätestens ab diesem Moment wusste Astrid ganz sicher, dass Henner hinter seiner heulenden, trauernden Fassade irgendein Geheimnis verbarg. Und dass sie dieses Geheimnis soeben in seinem Schlafzimmer versteckt hatte.

Samstag, 20. März, 14.33 Uhr
    D anz up de deel, danz up de deel, immer noch einmal, quer so übern Saal…«
    Die Trachten der Juister Volkstanzgruppe waren aus schlichtem, schwerem Leinenstoff genäht. Einige Frauen trugen Röcke und taillierte Jacken in Brombeerblau, die anderen waren in dunklem Hagebuttenrot gekleidet. Um die Schultern schmiegten sich naturfarbene Tücher mit kunstvollen Stickereien und auf den Köpfen saßen samtene Häubchen eng am Haar. Hübsch waren sie, die Hupfdohlen. Die Männer in ihren weißen Hemden und dunklen Westen machten beim Tanz ernste Gesichter, konzentrierten sich auf die Schritte und dass ihnen die breitkrempigen Hüte nicht vom Kopf fielen. Die Mädchen lachten und johlten, wenn sie in die Höhe gehoben und im Kreis gedreht wurden. Eine fröhliche Akkordeonspielerin hatte sich schon längst von den Noten verabschiedet und spielte, selbst schunkelnd und den Takt mit den Füßen vorgebend, die Lieder frei nach Schnauze.
    Natürlich tanzte in Wirklichkeit niemand. Als die Nachricht vom Tode des ersten Vorsitzenden offiziell die Runde gemacht hatte, entschloss sich das Organisationsteam des Inseltreffs, alle Veranstaltungen abzublasen. Ein Typ, den auf Juist alle nur Onkel nannten und der irgendetwas mit Computern zu tun hatte, hatte stattdessen eine Großleinwand organisiert, auf der sich alle bis zur Schiffsabfahrt um 16.30 Uhr die Videoaufnahmen vom letzten Abend anschauen konnten. Der große Saal im Hotel Friesenhof war brechend voll. Alle Insulaner saßen und standen in der stickigen Luft und viele trugen mit ihren hemmungslos glimmenden Zigaretten noch zur Sauerstoffarmut bei. Die Stimmung war hundsmiserabel.
    Die Langeooger Akkordeongruppe versuchte sich in der Bierstube nebenan an Wie mit grimmigen Unverstand, einem traditionsreichen Kirchenlied, das von Seefahrern und Insulanern immer dann gesungen wird, wenn etwas zu Ende gegangen ist. Silvester, Beerdigungen, tragische Abschiede wurden immer im Stehen, aus voller Brust und mit Tränen in den Augen sogar der Hartgesottenen begangen.
    »Einst in meiner letzten Not lass mich nicht versinken, sollt ich von dem bittern Tod Well’ um Welle trinken. Reiche mir dann liebentbrannt, Herr, Herr, deine Glaubenshand, Christ kyrie, komm zu uns auf die See.« Die Nachbarinsulaner bemühten sich wirklich, doch das Lied klang schräg und zusammengebastelt wie ein Gassenhauer.
    Tjark Bonnhofen saß am Norderneyer

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