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Das Hagebutten-Mädchen

Das Hagebutten-Mädchen

Titel: Das Hagebutten-Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lüpkes
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meine Tochter und ihre Freundinnen. Sie sagen, der Mann ist bewaffnet!«
    »Scheiße!« Sanders schluckte, obwohl es in seinem trockenen Mund nichts zum Herunterschlucken gab.
    »Was ist mit Wencke?«
    »Keine Ahnung, meine Tochter rief nur kurz an. Die Mädels sind ganz aus dem Häuschen, haben sich da hinten auf die Lauer gelegt. Und sie sagte, Henner Wortreich hält eine Pistole in der Hand. Wir sollten nicht einen Moment zögern. Wenn der Scheißkerl jetzt meine Tochter sieht, ich will gar nicht daran denken…«
    Sanders warf sich die Jacke über und schloss den Schrank auf, in dem sich die Dienstwaffen befanden.
    »Wo sind sie denn nun?«
    »Bei der alten Müllkippe. Zur Wattseite hin.« Glaser stand immer noch in der Tür. Sanders legte sich den Gurt um, griff nach der Pistole, sie saß sicher an der Hüfte. Er hätte nie gedacht, dass er sie hier auf Juist einmal zum Einsatz bringen müsste. Der Zöllner hatte sich schon umgedreht. Sanders folgte ihm mit einer ordentlichen Portion Angst im Nacken.

Sonntag, 21. März, 13.56 Uhr
    W arum war er auch immer so ein verflucht ehrenwerter Kerl? Alles habe ich für Kai aufgegeben, alles! Und er war noch nicht einmal bereit, eine kleine Lüge für mich zu riskieren, damit ich endlich da weitermachen konnte, wo mein Leben seinetwegen vor fünfzehn Jahren aufgehört hat.«
    Henner Wortreich wusste, wie man eine Waffe halten musste, das erkannte Wencke auf den ersten Blick. Er war aufgestanden, mit beiden Beinen stand er fest auf dem schrägen Deich, er zappelte nicht hektisch herum, sondern drückte sich den Lauf senkrecht an die Kehle, stützte seinen Unterkiefer darauf. Dort musste man hinzielen, wenn man es ernst meinte, dachte Wencke. An die Schläfe halten ist laienhaft. Er will es wirklich.
    »Als er mir sagte, dass er diese Schriftrolle gefunden hat, da war mir gleich klar, dass dies unsere Chance war. Niemand wusste von dem Fund. Handschriftliches Dokument, Das Hagebutten-Mädchen auf vergilbtem Papier, zusammengerollt in diesem Akkordeon. Zwischen irgendwelchen Modulationsstäben, deshalb hat das Instrument auch so scheußlich geklungen. Warum auch immer es dort versteckt gewesen war, erschien mir nicht wichtig. Nur, dass es aller Wahrscheinlichkeit von Storm verfasst worden war. Denn ich habe im Internet nach Handschriftproben gefahndet, bin zwar kein Graphologe, doch ich habe eindeutige Ähnlichkeiten im Schriftbild festgestellt. Sie wissen schon, ausschweifende Bögen nach unten, nach rechts geneigt, strichförmige i- Punkte und so. Und ich habe Kai vor lauter Freude überschwenglich umarmt, Mann, war ich glücklich, ein Wahnsinnsfund. So etwas ist teuflisch viel Geld wert. Ist ja nur logisch! Habe ja keine genaue Ahnung davon, aber Kai hat genickt, als ich die Sache auf eine halbe Million Euro geschätzt habe. Und gelächelt hat er.«
    Wie kann ich ihm diese Pistole vom Kinn reißen, dachte Wencke. Gleich drückt er ab, er hat schon diesen Blick. So ein entschlossenes Funkeln in den Pupillen. Warum hatte sie Sanders nicht Bescheid gegeben, wo sie steckte? Nun lag es ganz allein an ihr, diese Situation in den Griff zu bekommen. Langsam erhob sie sich. Die brennende Zigarette fiel ins Gras. Als Wencke sich Wortreich um einen Schritt näherte, gab er ihr mit dem ausgestreckten Arm zu verstehen, dass sie nicht näher kommen solle, den Lauf immer noch an die Haut gedrückt. So ging es nicht.
    »Eine halbe Million Euro! Und vielleicht hätte es auch noch mehr gebracht, sechshunderttausend vielleicht? Mit dem restlichen Geld von Astrid auf meinem Konto hätte ich es geschafft. In dem Moment, wo Kai mir dieses wunderbare Schriftstück gezeigt hatte, erschienen diese Träume wieder vor meinen Augen. Ich habe die alten Entwürfe sofort gesucht, meine Entwürfe von der Villa Waterkant. Es war, als wäre mein Traum wieder zum Leben erwacht, ich war voller Pläne und Tatendrang. Kai musste das doch gesehen haben, er hat das Glück in meinem Gesicht gesehen, und trotzdem hat er mich nicht ernst genommen.«
    Wencke erkannte auf der Deichhöhe drei Köpfe. Jemand pirschte sich heran, nein, bitte nicht, es waren drei junge Mädchen, viel zu junge Mädchen. Sie schienen eingreifen zu wollen, um Himmels willen, bloß nicht! Wir sind hier nicht in einem Schönwetterkrimi auf dem Kinderkanal. Henner Wortreich stand mit dem Rücken zu ihnen. Zwischen Wencke und den Mädchen. Sie musste ihnen zu verstehen geben, dass es kein Spaß war, dass sie nur so schnell wie möglich von

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