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Das halbe Haus: Roman (German Edition)

Das halbe Haus: Roman (German Edition)

Titel: Das halbe Haus: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Cynybulk
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sie ihren Sohn. »So wie früher in der Stube?«
    In der Stube aber herrscht ein großes Durcheinander. Vor dem Ofen steht eine Kleiderstange auf Rädern, die voll weißer Hemden und bunter Kleider hängt. Stoffe und Tüll liegen auf dem Schlafsofa, ein Metermaß kringelt sich auf dem Teppich, der voller Flecken ist, auf dem Couchtisch hockt ein Nadeligel, und zwei Nähkästchenziehharmonikas könnten wohl für die Fingerhüte und Garnsterne ein Seemannslied spielen. Die Gardinen sind gerafft, nun sieht man den Fliegenschiss auf dem Glas. Zwei Nähmaschinen hat man ans Fenster gerückt, ihre alte Singer und eine neue elektrische. An der einen sitzt die Sonnenblumenfrau, an der anderen ein dünner Mann mit Ohrring. Lachend schieben sie Wellen türkisfarbenen Stoffs über den Nähfuß.
    »Wir haben tüchtig abjenäht, du dürres Huhn«, ruft die Frau über ihre Schulter. »Kannste gleich noch mal probieren.«
    »Ich habe für diesen Tag gehungert und Sport getrieben«, ertönt es hinter dem Kleiderständer, »und ich finde, es steht mir ausgezeichnet.«
    Eine Frau mit schönen Brüsten tritt hinter dem Sichtschutz hervor. Sie trägt Pumps und einen spitzenbesetzten Slip. Sonst nichts. Als sie Frank und ihre zukünftige Schwiegermutter sieht, bedeckt sie ihre Brüste ohne Eile. »Es steht mir doch?«, fragt sie Frank und zieht den Bauch ein. Sie tritt auf ihre Schwiegermutter zu, den linken Unterarm vor den Brüsten, und reicht ihr die freie Hand. »Sie müssen seine Mutter sein«, sagt sie lächelnd. »Nun lernen wir uns auch mal kennen.«
    Daher also weht der Wind, denkt sie, die Mutter. Ich war ja auch mal jung, aber nicht so.
    »Jetzt sagt ihr mal, ob es zu weit ist«, sagt die Sonnenblumenfrau, die nun eine Brille wie Frau Doktor Pille aufhat, und hält der Schwiegertochter das türkisfarbene Kleid hin. Diese schlüpft ganz ungeniert hinein. Frank scheint es nicht zu stören, dass der Mann mit dem Ohrring alles sieht. Wie das Halskettchen fortfliegt und wieder im Dekolleté landet. Die Schwiegertochter räkelt sich in das bodenlange Kleid und dreht sich um die eigene Achse.
    »Sehr schön«, sagt Frank. »Genau richtig.«
    Müsste es nicht weiß sein, denkt sie, die Mutter, obwohl es das zweite Mal ist.
    »Die Puffärmel puffen sehr schön«, sagt der Mann mit dem Ohrring, »und der Ausschnitt ist ganz Marilyn.«
    »Passt«, sagt die Blonde und streicht über den Stoff.
    »Und ich möchte die Haare wie Pamela Ewing, mit Wellen hier und hier«, sagt die Schwiegertochter.
    »Wir viere machen die Haare hoch«, sagt die Blonde. »Regel Nummer eins: Die Brautjungfern dürfen der Braut keene Konkurrenz machen, nicht beim Kleid, nicht beim Schmuck, nicht bei Schminke und Haaren.«
    »Frank«, sagt der Mann mit Ohrring, »du könntest dein Dress auch gleich vorführen.«
    »Wollen Sie es sehen?«, fragt die Brautjungfer, die eben noch die Schwiegertochter war. »Ein weißer Smoking mit Satinrevers. Todschick.«
    »Bei uns trägt der Bräutigam Weiß«, erklärt die Blonde.
    »Ich werd es ja morgen vorgeführt bekommen«, sagt sie, die Mutter, und denkt an den schwarzen Anzug in ihrem Koffer. Dann geht sie und lässt alle stehen, den Sohn, die Schneider, die Jungfer, die Kartoffelköchinnen in der Küche, all die Verrückten. Sie biegt um den Türstock mit den Wachstumsstrichen, nimmt zwei ihrer Koffer und steigt die Treppe hoch.
    Paul hat das Haus gekauft, als Siegmar vier war. Kohlenkeller, Waschküche, Badeofen, Kochmaschine, Birnbaum, Garage, Schuppen, Schlitten, Entsafter, Weckgläser, Teppichstange, Werkbank, Hollywoodschaukel. Ein gemütliches Heim. Sie läuft in ein Spinnennetz, das sich auf ihre Stirn legt.
    In Jakobs Zimmer stellt sie die Koffer ab und zupft die Spinnweben von der Stirn. Auf dem Bett döst die Katze und hebt kurz den Kopf. Davor liegt eine Luftmatratze mit Schlafsack. Eine richtige Schlafstatt ist ja wohl nicht zu viel verlangt.
    Sie geht zum Ohrensessel, den sie in die Gaube dreht. Nachdem sie sich gesetzt hat, streift sie die Schuhe ab. Rechts auf dem Bücherregal liegt das Familienalbum, in schwarzes Kaliko eingebunden. Eine zerfranste rot-gelbe Kordel hängt heraus. Sie muss das Album gar nicht aufschlagen, um die Hochzeitsbilder zu sehen.
    Katja und Waldemar. Sie im langen weißen Kleid mit Blumengürtel und ohne Schleier, er im schwarzen Anzug, die Wangen und die Ohren glühen, man kann es erkennen, auch wenn das Foto nicht in Farbe ist. Auf der Rückseite der rote Stempel eines russischen

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