Das halbe Haus: Roman (German Edition)
Fotografen, fünf Jahre, bevor ihre Heimat rumänisch wurde. Ihr eigenes Hochzeitsbild, Horst in Uniform, runde Schultern, wässrige Augen, das Gesicht eine Schupfnudel, sie blass und hochmütig, Haare gewellt unter dem nachträglich genähten Schleier, von Liesl frisiert. Ihre Haare waren erdbeerfarben, auch ihr Mund, sie weiß es noch. Semljanika. Auf der Rückseite des gezackten Bildes der schwarze Stempel eines reichsdeutschen Fotografen, vier Jahre bevor es kein Deutsches Reich mehr gab. Dann Siegmar und Inge, er mit breitem buntem Schlips und schwarzer Mähne, sie x-beinig im geblümten Minikleid, pausbäckig und stülpnasig, die Gute. Auf der Rückseite des Farbfotos der blaue Stempel eines hiesigen Fotografen, tja. Schließlich Frank und Friederike. Sie stehen im Portal des Naumburger Rathauses, vor sich ein breitgespanntes Band. Frank kramt in der Anzugtasche nach Hellern und Pfennigen, um sich und seine schöne schwangere Frau auszulösen. Friederike trägt die Haare wie Juliette Gréco. Sie hat eine Himmelfahrtsnase, dünne ebenholzfarbene Brauen, und aus dem Augenwinkel biegt der Lidstrich. Ein anhaltinischer Fotograf hat seinen grünen Stempel auf die Rückseite des Schwarzweißfotos gesetzt, auf den Tag genau drei Jahre bevor es Friederike nicht mehr gab.
Familienfotos von Ost nach West. Und dann gibt es noch die Fehlseiten, auf denen nur Leimspuren, zerfetzter Karton und leere Klebeecken zu finden sind.
Die Katze springt vom Bett und beschnuppert die Koffer. Sie kommt und streicht um ihre Beine, probiert ein Schnurren. Dann versucht sie ihren Schwanz zu fangen. Das Ende ihres Schwanzes ist der Anfang einer Geschichte.
Als es klopft, schiebt sie den Sessel herum, zieht ihre Schuhe an und nimmt wieder darin Platz.
Frank steckt den Kopf durch die Tür: »Hier ist jemand, der dich begrüßen möchte.«
Man sagt, der erste Eindruck entscheide alles. Ihr erster Eindruck ist ein großer Schreck: So war ich auch mal, denkt sie.
»Guten Tag, ich bin Eva«, sagt die Frau mit den erdbeerfarbenen Haaren und tritt auf sie zu.
»Das ist meine Mutter«, sagt Frank, ja wer denn sonst, und schiebt die beiden anderen Koffer neben den Ofen.
»Wir dachten, Sie kommen erst morgen«, sagt Eva und lächelt sie ruhig an. »Wir wollten Sie vom Bahnhof abholen.«
»Ich habe telegrafiert«, sagt sie und bleibt sitzen.
»Das tut uns sehr leid. Aber nun sind Sie da.«
»Ja«, sagt sie.
»Was hast du nur alles mitgebracht?«, sagt Frank und zeigt auf ihre Koffer.
»Naschereien für die Kinder, ein paar Kleinigkeiten für Edelgard und Inge, die Pumpe für Siegmar«, sagt sie. »Ihr bekommt Geld. Zwei Tage feiern mit all den Leuten, das kostet doch.«
»Es ist Geschenk genug, dass Sie da sind«, sagt Eva ohne Unterton. Alles sitzt bei ihr, das blaue Kleid, die Worte. Es wird ein schwerer Kampf werden.
»Wann kommen Siegmar und Rudolf?«, fragt sie ihren Sohn.
»Die kommen morgen zum Standesamt.«
»Habt ihr sie zu heute nicht eingeladen?«
»Sie wollten erst morgen kommen.«
»Wer kommt denn heute sonst noch?«
»Unsere Freunde«, sagt Eva.
»Die Berliner schlafen im Zelt auf der Wiese«, erklärt Frank, »und dann machen wir im Wohnzimmer ein Matratzenlager für alle, die es nicht mehr nach Hause schaffen, du kennst ja Mo und Jasper. Auch Eva schläft im Zelt«, sagt er ein bisschen zag. »Es ist ja noch nicht unsere Hochzeitsnacht.«
Schwärmerische Frauen: doppelt gefährlich.
»Beim Bauern haben wir auch zwei Zimmer reserviert«, sagt Eva. »Wenn es Ihnen recht ist, würden wir Sie gern dort einquartieren.«
»Schlafen dort auch Ihre Eltern?«
Zögernd sagt Frank: »Eva hat keinen Kontakt mehr zu ihren Eltern.«
»Wer kommt denn sonst noch von Ihrer Seite?«
»Nur meine Tochter. Leonore schläft hier bei Jakob.«
»Und wer schläft in dem anderen Zimmer beim Bauern?«
Eva wendet sich Frank zu. »Hast du es deiner Mutter denn noch nicht gesagt?«
»Es war ja keine Zeit«, erwidert Frank und sieht zur Katze, die einen halbtoten Marienkäfer belauert. Über das Fenster, in dem die Sonne steht, wandern Dutzende Käfer, und das Fensterbrett ist ein Massengrab. In der alten Heimat hießen die Marienkäfer Heilandsvögel.
»Frank hat seinen Onkel eingeladen«, sagt Eva.
Es spricht der eine für den anderen, denkt sie und betrachtet nun auch die Katze. Dann spürt sie Flügelschläge in ihrem Kopf. »Arthur ist tot«, sagt sie rau. »Längst tot. Er ist gefallen.«
»Väterlicherseits«, sagt Eva.
»Ich
Weitere Kostenlose Bücher