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Das halbe Haus: Roman (German Edition)

Das halbe Haus: Roman (German Edition)

Titel: Das halbe Haus: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Cynybulk
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vor lauter Lachen. »Ich weiß, dass ich ein Kamel bin«, sagt das Kamel.
    »Kamele haben zwei Höcker«, sagt der Wärter. »Du aber hast nur einen. Du bist ein Dromedar.«
    »Wo soll ich denn bitte schön nur einen Höcker haben«, sagt das Kamel.
    »Dort oben, auf deinem Rücken.«
    »Du denkst also, ich bin ein Dromedar«, sagt das Kamel.
    »Ja«, sagt der Wärter. »Alle denken das. Wir haben hier in unserem Zoo nur Dromedare, auf dem Schild vor deinem Gehege steht, dass du ein Dromedar bist, also bist du eins.«
    »Auch wenn ich keine Augen hinten habe«, sagt das Kamel und wirft seinen Plüschkopf zurück, »so weiß ich wohl, dass ich nicht nur einen Höcker besitze. Ich besitze zwei.«
    »Woher, du dummes Tier, willst du das wohl wissen?«
    »Jemand hat es mir gesagt.«
    »Wer hat es dir gesagt?«
    »Ein anderes Kamel.«
    »Es gibt hier gar keine anderen Kamele. Du kannst somit gar nicht wissen, wie ein Kamel aussieht.«
    »Du hast dich verraten. Du hast andere gesagt. Also gibt es wenigstens mich.«
    »Du bist spitzfindig, verdrehst mir das Wort im Mund.«
    »Aber ich habe ein Tier mit zwei Höckern getroffen, und es hat mir versichert, dass ich von seiner Art bin. Ich bin also im Bilde.«
    »Wo soll denn ein Kamel bei uns so plötzlich auftauchen? Du bist umgeben von Dromedaren und einem Wassergraben.«
    »Es war, als der Zirkus hier gastierte. Hinter den Felsen, da gab es ein wunderbares Wesen mit zwei Höckern, und die waren geschmückt mit bunten Kappen und mit Fransen.«
    »Das war eine Dompteurin oder eine Akrobatin auf zwei Beinen, du dummes Tier.«
    »Es hatte vier Beine und zwei Höcker auf dem Rücken, ich kann doch zählen. Es hat gesagt, ich sei von seiner Art.«
    »Weißt du, was ich allmählich glaube? Ich glaube, du tickst nicht ganz richtig hier oben. Ich mache mir ernsthaft Sorgen um dich, Dromedar.«
    »Warum fragst du nicht die Zoobesucher?«, sagt das Kamel.
    »Dazu gibt es überhaupt keinen Anlass«, sagt der Wärter. »Es ist wissenschaftlich bewiesen, dass du ein Dromedar bist.«
    »Aber die Besucher haben Augen im Kopf. Es ist doch eine ganz einfache Frage, dazu braucht man doch keine Forschung zu betreiben.«
    »Die Wissenschaftler unseres Zoos irren sich nie. Sie haben einen Weltruf.«
    »Wissenschaft ist Irren.«
    »Wissenschaft ist Erkennen.«
    »Wissenschaft ist Staunen.«
    »Wissenschaft ist Verändern.«
    »Dann«, sagt das Kamel, »werde ich eben die Besucher fragen.«
    »Wie hochmütig und selbstgerecht muss man sein, sich über die Wissenschaft zu stellen? Außerdem: In welcher Sprache willst du fragen? Es sind Menschen, und du bist ein Tier. Ein ziemlich dummes, nebenbei bemerkt.«
    »Dann«, sagt das Kamel, »werde ich den Zoo verlassen und mich auf die Suche nach dem Zirkus machen.«
    »Niemand«, sagt der Wärter, »verlässt den Zoo. Wo kämen wir denn da hin? Dann würden auch die Warzenschweine behaupten, sie seien Kamele, und wegwollen. Und dann sagen die Pinguine, sie hätten zwei Höcker, und wollen auch weg, und dann wollen die Flamingos auch zwei Höcker haben und weg, muss man sich mal vorstellen! Wir könnten den Laden dichtmachen, weil kein Mensch nur für Schafe Eintritt zahlt. Und überleg mal, wie es dir draußen ergehen würde: Du würdest kein Futter finden, hättest kein warmes Paarhuferhaus im Winter, und keiner würde deine Sprache sprechen.«
    »Du bist auch ein Mensch, und wir unterhalten uns.«
    »Zufällig spreche ich Dromedarisch.«
    »Aber wir«, ruft ein empörtes kleines Mädchen, das von ihrem Brotstock überragt wird, »verstehen dich auch. Und außerdem ist das kein Kamel und auch kein Dromedar. Das sind zwei Menschen, ich kann ihre Füße sehen.«
    Die Zoobesucher lachen, und der Wärter sagt: »Psst, Minchen, das soll doch keiner wissen.«
    »Du veräppelst auch alle«, sagt Minchen ernst.
    »Touché«, ruft ein eleganter Mann.
    »Uff, wir sind aufgeflogen«, sagt Jasper. »Hier kommen wir nicht mehr raus.« Cora und Mo werfen das Kamelkostüm ab.
    »Liebe Eva, wir hoffen, du hast dennoch etwas gelernt«, sagt Mo, und die drei verbeugen sich.
    »Was denn«, ruft die betrunkene Frau aus der Garage über den Applaus hinweg. »Das Ende hat keinen Schluss.«
    Frank erhebt sich und sein Glas. »Ja, das Ende hat keinen Schluss«, sagt er. »Aber das macht nichts, denn die Geschichte wird ja gut ausgehen. Eva hat mich längst durchschaut.« Er beugt sich zur Braut. »Ich bin das glücklichste Kamel der Welt.« Sie lacht, er richtet sich auf.

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