Das halbe Haus: Roman (German Edition)
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Bezirksverwaltung
Für Staatssicherheit
L., den 28.11.82
Abtlg. XVIII/5
do/2172
A k t e n v e r m e r k
Zur Person FRIEDRICH, Frank – PKZ: 170 646 4 24 959
Am 26.11.82 wurde, um 7.15 Uhr, auf dem Wohngrundstück Regenstr. 27 eine männliche Person mit einem Kind im Alter von 11-13 Jahren festgestellt. Beide Personen bestiegen den in der Garage des Grundstücks befindlichen PKW – Typ Škoda/grün – polizl. Kennz. SB 58-32 und entstiegen diesem wieder, da der PKW offenbar nicht ansprang. Beide Personen schoben den PKW aus der Garage auf die Regenstr. Während das Kind sich an das Steuer des Škoda setzte, schob die männl. Person den PKW an, bis dieser ansprang. Darauf fuhr das Kind ca. vier Minuten lang die Regenstr. hinab und hinauf, bevor es anhielt. Es wechselte auf den Beifahrersitz und ließ die männl. Person ans Steuer. Um 7.27 Uhr fuhr der PKW in Richtung Fritz-Austel-Str. ab. Der PKW wurde bis zum Schkeuditzer Kreuz verfolgt, wo er auf die Transitstrecke abbog mit Fahrtrichtung Berlin.
Bei benanntem PKW handelt es sich um das Fahrzeug des F.
Es kann vermutet werden, daß es sich bei den festgestellten Personen um den F. sowie dessen Sohn handelt.
Dobysch
Oberleutnant
15. Berliner Ironie
Dort, wo der 365 Meter hohe Fernsehturm seinen Schatten auf die älteste erhaltene Kirche der Stadt wirft, wo sich die Spree etwa 30 Kilometer durch das Häusermeer schlängelt, wo man über den 1390 Meter langen, viel besungenen Boulevard Unter den Linden schlendert und wo man sich an der Weltzeituhr auf dem Alexanderplatz trifft: Da ist Berlin, die Hauptstadt der Deutschen Demokratischen Republik – eine Stadt, auf die die Bürger des ganzen Landes stolz sind und in der sie gern zu Besuch verweilen.
So manches weiß man aus Presse, Funk und Fernsehen über Berlin: Dass es den Palast der Republik auf dem Marx-Engels-Platz gibt, vom Volk für das Volk gebaut, dass es den Pergamon-Altar auf der Museumsinsel gibt, das Sowjetische Ehrenmal in Treptow oder den Tierpark in Friedrichsfelde, wo das Wahrzeichen der Stadt ein angemessenes Zuhause gefunden hat: der Bär. Anderes erschließt sich dem Besucher erst auf den zweiten Blick.
Dass Berlin eine sozialistische Wiedergeburt erleben durfte, verdankt es der Befreiungstat der Sowjetsoldaten. Im Mai 1945 gaben sie den Berlinern die Chance, nach den finsteren Jahren des Faschismus völlig neu anzufangen und den Weg des Friedens zu beschreiten. Heute ist es kaum noch vorstellbar, dass vor bald 40 Jahren rund um den Alexanderplatz nur noch wenige Gebäude standen, dass die heutige Karl-Marx-Allee, so weit das Auge reichte, Trümmer bedeckten. Von Bauschaffenden aus der ganzen Republik wurde in entbehrungsreicher Arbeit ein neues Berlin errichtet. In Marzahn zum Beispiel, wo bis zum Jahr 1985 neue Wohnungen für 100 000 Bürger gebaut werden, kann man alle Dialekte hören, die in der DDR beheimatet sind. Natürlich packen auch die Berliner selbst kräftig mit an.
Berlin ist reich an revolutionären und humanistischen Traditionen. Hier hat Karl Marx, der größte Sohn des deutschen Volkes, studiert, und Friedrich Engels hat an der Berliner Universität Vorlesungen gehört. Wladimir Iljitsch Lenin weilte mehrmals in Berlin, und unzählige Dichter, Philosophen, Forscher und in der internationalen Arbeiterbewegung bekannte und geachtete Führer wie August Bebel, Franz Mehring, Clara Zetkin, Ernst Thälmann, Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg wirkten in der von Industrialisierung und Armut gepeinigten Metropole.
Wie keine zweite Stadt spiegelt Berlin die widerspruchsvolle, von erbitterten Klassenkämpfen gezeichnete Geschichte zwischen Fortschritt und Reaktion wider: Hier wurden Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg von national-chauvinistischen Schergen heimtückisch ermordet, und hier befand sich die Sitz- und Schaltzentrale der Ausbeuterklasse, der Konzernleitungen und Banken. Berlin war die Stadt des militaristischen Preußentums, in welcher der Imperialismus mit besonderer Härte und Grausamkeit gegen die fortschrittlichen Kräfte vorging. Es war die Stadt des Reichstagsbrandes und die Kapitale des hitlerfaschistischen Staates, dessen Ende mit dem Hissen der roten Fahne auf dem Brandenburger Tor und dem Reichstag verkündet wurde.
Fünfzehn Jahre später, am 13. August 1961, erlitten in Berlin die »Politik der Stärke« und das langfristig vorbereitete »Roll back« der restaurativen
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