Das halbe Haus: Roman (German Edition)
Mächte die entscheidende Niederlage. Durch die Sicherung der Staatsgrenzen wurde die sozialistische Gesellschaftsordnung der DDR zuverlässig geschützt und dem Imperialismus endgültig die Möglichkeit versperrt, seinen Herrschaftsbereich nach Osten auszudehnen.
In der Folgezeit ist Berlin zum Zentrum des politischen, wirtschaftlichen und geistig-kulturellen Lebens unseres Landes geworden. Die Jahre nach dem VII . Parteitag gehören auch für die Hauptstadt zu den erfolgreichsten. Allein an einem Arbeitstag wurden 1975 für rund elf Millionen Mark mehr Waren als 1971 erzeugt. Und im Fünfjahrplan 1976 bis 1980 überschritt die jährliche Industrieproduktion Berlins den Wert von 17 Milliarden Mark.
So nimmt es nicht wunder, dass jahraus, jahrein Millionen Besucher aus dem In- und Ausland nach Spreeathen strömen, um sein Flair, seine Sehenswürdigkeiten, Parks und Gewässer zu genießen. Eine Fahrt mit den Schiffen der Weißen Flotte über Spree, Dahme, Seddin- oder Müggelsee lohnt immer. Und wie jeder Großstädter liebt der Berliner das Grüne nicht nur vor den Toren, sondern auch inmitten seiner Stadt, die mit 550 Hektar gepflegten Freizeitanlagen aufwarten kann. Ein besonderer Anziehungspunkt für Jung und Alt ist der Kulturpark im Plänterwald mit Riesenrad und Kosmosgondel. Der Pionierpark im Stadtbezirk Berlin-Köpenick bietet alljährlich Zehntausenden Kindern Freude und Förderung im Geiste Ernst Thälmanns.
Berlin, die Hauptstadt der DDR , wird mit jedem Jahr schöner. Überzeugen Sie sich selbst davon!
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Die gewürfelte Zeit: Von allen Seiten ist es zu früh, doch in Wahrheit ist es zu spät. Weiß erhebt sich das fünfstöckige Haus über seinem Sockel. Auf dem Hoheitsgelb klebt der Adler, schwarz, das Eisengitter ist noch vor den Eingang geschlagen, aber einer sitzt schon im Glashäuschen, und einer friert in moosgrünem Mantel und Wintermütze davor. Sobald das Gitter hochgezogen ist, in gut einer Stunde, werden sie das Gitter sein. Es gibt Smog, den wir Industrienebel nennen, und etwas zwischen Regen und Schnee. Die Scheibenwischer arbeiten, schau nicht zu lange hin, die schauen schon zurück, direkt davor darfst du ohnehin nicht parken, wie das Schild besagt, verrückt bist du ja noch nicht. Du bist nur irgendwas davor. Am besten parkst du ein paar Straßen weiter. Die Hannoversche entlang, Richtung Charité, oder die Chausseestraße hoch, Richtung Dorotheenstädtischer Friedhof, oder die Wilhelm-Pieck rüber, Richtung Alex, oder die Friedrichstraße runter, Richtung Tränenpalast. Auch die Lokale sind noch geschlossen, das Oranienquell, die Salatplatte, das Kaffee-Eck. Vor der Altstoffhandlung in der Almstadtstraße, die mal Grenadierstraße hieß, kannst du in Ruhe parken und dann um die Ecken gehen wie der Ostwind. Denn den haben sie hier, einen Ostwind, der unter den Mantel kriecht und in die Wange zwickt, ohne dass er diesen Asbesthimmel, aus dem die nassen Flocken fallen, wegblasen könnte. Mittags vielleicht, wenn der Nebel nicht mehr so dicht ist, könnte ein Dotter in diesem Himmel aufschlagen, ein blasser Trost. Deine Ruhe aber hat sich seit der vergangenen Nacht nicht mehr blicken lassen. Da ist sie hochgeschreckt und durch die halbe Stadt gehastet, immer an der Mauer entlang, deine Ruhe, und die Nachtschwärmer von der anderen Hälfte glotzten ihr nach von den Plattformen, während sie sich da und dort ausweisen musste, deine Ruhe. Nun tust du es ihr gleich und streunst durchs Scheunenviertel, früher mal Ghetto und Halbwelt, heute bloß noch Verfall: Brandwände, vermauerte Fenster, starrende Löcher, Wellblechzäune. Ein Hund ohne Herrn pinkelt an eine Litfaßsäule, über ein Stück Brache zickzackt ein Kaninchen. Du liest das Wort koscher in Fraktur, du hörst Jiddisch, du gehst hier durch die deutsche Geschichte. Ein Strickladen nennt sich Frau Wolle. Ein Mann mit Baskenmütze fährt einhändig Fahrrad, seine freie Hand ist gar nicht frei, er hält darin einen Regenschirm, der feuchte Schnee bestürmt ihn und dich, frei ist ein kurzes und ein schweres Wort. Auf dem mürben Putz entzifferst du andere Schriften – Leihbibliothek, Colonialwaren –, das rätselhafte Hebräisch krümmt sich, ein Satz fängt eine Motte. In der Gipsstraße stößt du auf eine Gedenktafel: In diesem Haus wohnten Widerstandskämpfer der Gruppe Baum, 42 in Plötzensee hingerichtet – Sala Kochmann –, ihr Kampf ist auch unser Kampf. In der Kleinen Auguststraße entdeckst du den niedrigen
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