Das halbe Haus: Roman (German Edition)
der Familie, und dann hörte es auf. Jetzt aber fördert es der Herr wieder zutage. Was soll nur der Herr von ihm denken und was der andere, der seine peinlichen Bilder gesehen hat? Auf dem Lattenrost findet der Herr ein Poesiealbum oder ein Tagebuch, jedenfalls ein schwarzes Buch. Der Herr legt Leos Geheimnisse in einen Plastekorb, auf dem ein Etikett klebt. Beschlagnahme Hecht steht darauf. Die sind vom Anglerverein, denkt Jakob. Er muss Leo sagen, dass man ihr Buch herausgefischt hat, dass sie sich schon mal aufs Schämen vorbereiten soll, aber er kann nicht weggehen. Er weiß nicht mal, ob er dem anderen Herrn folgen soll, der nicht mehr auf dem Teppich sitzt, sondern sich in den Tiefen des Raums, womöglich an Vaters Büchern, zu schaffen macht. Doch der Angler hält ihn davon ab. Der Angler wühlt in dem Weidenkorb herum, in dem sie alle vier ihre Schmutzwäsche sammeln. Kurzerhand kippt er den Korb aus, Vatersocken knüllen sich im Ärmel eines schwarzen T-Shirts von Leo, eine von Evas Blusen klammert sich an Jakobs Jeans. Das Knäuel Schmutzwäsche landet vor dem großen Kleiderhaufen. Der Angler zieht ein schwarzes Höschen daraus hervor. Er riecht daran, prüft den Spitzenstoff mit den Fingerkuppen, riecht noch einmal daran und lässt es in seiner Jacke verschwinden. Sein Gesicht ist nicht mehr leer, es ist rot. Aber wenn es rot ist, dann empfindet der Angler Scham. Das ist interessant. Ach nee, ruft von nebenan der andere Herr, das musst du sehen, Dempner. Erschrocken blickt der Angesprochene auf. Doppelt interessant: Er schämt sich nicht nur, er hat auch Schiss. Und auf einmal denkt Jakob, dass es so rum richtig ist: Nicht er oder Leo müssen sich schämen, nicht ihnen muss etwas peinlich sein. Die Herren vom Anglerverein, die sollten sich was schämen, und es sind auch keine Herren! Jener, der Dempner heißt, wechselt den Raum. Keen Rang und keen Name, Genosse Oberleutnant, raunt er, aber Jakob hört es trotzdem. – Drauf geschissen, du Idiot, sagt der Genosse Oberleutnant. – Zu Befehl, Genosse Oberleutnant Dobysch, sagt Dempner. Das wären dann schon mal zwei Namen und ein Dienstgrad, denkt Jakob. Die werde ich mir merken, und wenn Vater heimkommt, er kommt ja jeden Moment heim, dann werde ich ihm die Namen und den Dienstgrad sagen können. Ich werde ihm vom Hecht-Korb berichten, von der geklauten Miss November und vom gestohlenen Schlüpfer. Ich werde mir alles einprägen, Eheringe, Steiße und Sätze der Typen, die gar keine Herren sind, ich werde mir den Geruch ihrer Scham und ihrer Furcht merken. Und dann: Nu pogodi, ihr Kunden, ihr Angelarschlöcher!
»Ja-kob!«
In der Nacht hat es Streit gegeben. Der Vater hat gerufen, Eva solle aufhören mit ihrer Feigheit und Hörigkeit, während Eva gesagt hat, dass es nicht rechtens sei, sie alle da mit hineinzuziehen, er, Frank, denke nur an sich. Blödsinn, es sei doch nur eine einmalige Aktion, er müsse etwas unternehmen, er werde sonst noch verrückt vom Nichtstun, was könne schon passieren. Außerdem solle Eva zusehen, dass sie ihre Sache endlich geregelt bekomme, dann müsse er auch nicht so was anstellen. Es sei nicht ihre Sache, hat Eva geantwortet. Seinetwegen, um Franks willen, kümmere sie sich darum. Aber dass er mit diesem Pfeiffer hier Abend für Abend herumsitze und sie sich wie die Schuljungen verhielten, das gehe ihr gewaltig gegen den Strich. Ob er, Frank, denn nicht merke, was das für einer sei? Sie rede schon wie seine Mutter, hat der Vater geantwortet, aber er sei eben kein Schuljunge mehr. Er werde sich jetzt ein für alle Mal aus der Vormundschaft befreien, und zwar mithilfe von Gleichgesinnten. Gleichgesinnte, schönen Dank auch, hat Eva gesagt. Hinter Franks Rücken würde dieser Typ versuchen, ihr an die Wäsche zu gehen, ob er das denn nicht merke. Ein schöner Freund sei das, auf den er da baue. Sie, hat der Vater gerufen, sei so maßlos kokett, dass sie alles nur durch die eine Linse betrachten könne. Es tue ihm leid, aber es gehe leider nicht immer um ihre Attraktivität. Sie, hat Eva erwidert, verbitte sich derartige Reden. Maßlos sei allein die Impertinenz, mit der er, Frank, oben auf seinen Egoismus noch derartige Anschuldigungen sattle. Sie für ihren Teil setze nicht ihre Familie aufs Spiel, sie könne gut und gerne hier leben. Ich aber nicht, hat der Vater gesagt. Jakob hat im Versteck gesessen und gelauscht, bis der kastrierte Kater meinte, dass es nun höchste Zeit zum Schlafen sei. Nach einer Weile ist der
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