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Das halbe Haus: Roman (German Edition)

Das halbe Haus: Roman (German Edition)

Titel: Das halbe Haus: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Cynybulk
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wenig fürchtet, bekommt sie zu Abend selbstverständlich einen Tisch im Auerbachs Keller, sogar in der Weinstube, wo das Fass steht, auf welchem – es ist ja bekannt. Sie verkehrt eben mit den richtigen Leuten und wird vorbeigeführt an der Warteschlange, die treppauf bis in die Mädlerpassage reicht. Ihr Rendezvous hat sie im Tivoli oder in der Tanzbar Femina. Ihre Beine sind glatt, sie ist angeputzt, ihr Mund ist voll und rot. Während sie wartet, kontrolliert sie den Lippenstift im Handspiegel und formt ein M und noch ein M mit ihrem Mustermessemund. Ihre Augen sind wie Lichter, sie ist eine Frau in den besten Jahren, sie verachtet den Genuss nicht, sie spricht dem Weine zu, sie hat ihre Erfahrungen gemacht und dennoch ihre Prinzipien, sie hat Stil, und heute will sie verführen. Auf wen wartet sie? Nein, es ist kein Bundi, auf den sie wartet. Nicht, dass man ihr keine Offerten macht, oh, an Offerten von gut riechenden Herren mit Eheringschatten mangelt es nicht. Sie könnte wählen zwischen einem Vertriebsleiter aus Celle, einem Vertriebsleiter aus Hannover und einem Vertriebsleiter aus Metz sogar. Doch sie hat sich für einen Mann von hier entschieden. Sie kennt ihn seit Jahren, er entwischt ihr immer wieder, und er sucht sie aufs Neue. Wo bleibt er nur? Er wird sie doch nicht enttäuschen in diesen umtriebigen Tagen. Er wird ihr doch keinen Korb geben. Er wird doch nicht so mit ihr umgehen, wo sie so gnädig gestimmt ist, wo sie über alles hinwegsieht und verführen will. Nein, das kann nicht sein. Sie hatte viel Geduld mit ihm, diesem Westentaschen-Odysseus, aber die reißt jetzt. Wer ist sie denn? Nu? Sie ist noch immer die Stolzeste und Schönste. Sie, die Messestadt Leipzig.
    »Ja-kob!«
    Nach Vanille, sagt der Vater, so wie du. Als du zur Welt kamst, habt ihr beide nach Vanille gerochen. Der Vater öffnet den Reißverschluss seiner Jacke und sagt: Rück mal ein Stück rüber. Der Junge rückt ein Stück rüber, und der Vater legt sich neben ihn, als werde er ihm gleich ein Indianerbuch vorlesen. Er lacht leise. Du warst, sagt er, schon im Mutterleib bockig. Wenn wir ins Kino gingen, und es war dir zu laut, dann hast du wie verrückt gestrampelt und geboxt. Deine Mutter hat versucht, dich zu beruhigen, sie hat deinen Namen gesagt, denn sie ahnte, dass du ein Junge wirst, und sie wusste, wie du heißen sollst. Sie hat deinen Namen gesagt und durch ihren Bauch deinen Kopf gestreichelt. Dein Kopf war deutlich zu spüren, ich hab ihn auch gestreichelt, das hat dich beruhigt. Aber es war dein Arsch. Die Hebamme sagte uns später, dass es dein Arsch gewesen sein muss, den wir so hingebungsvoll getätschelt haben. Du bist also das Kind mit dem gründlich gesalbten Hintern. Vater und Sohn lachen. Der Vater hört früher auf. Vor allem bist du, sagt er ernst, in Liebe gezeugt und in Liebe geboren. Das sollst du nie vergessen. Er holt tief Luft. Jetzt bist du schon so groß. Er schweigt. Dann sagt er heiser: Auf deinem Namen hat sie bestanden. In der Bibel gibt es den Jakob, der in der Wüste die Himmelsleiter sieht, auf der die Engel auf- und niedersteigen. So solltest du heißen. Sie, sagt der Vater, hatte diese tückische Krankheit in sich, den Krebs, und sie wusste, dass sie – dass sie selbst da hochklettern würde, Scheiße. Der Vater atmet laut, und der junge Mann namens Jakob, der mit dem gesalbten Hintern, denkt: Es ist gut. Die ewigen Jagdgründe. Es ist doch gut. Langsam wird der Atem des Vaters ruhiger. Noch ein ganzes Weilchen bleibt er neben seinem Sohn liegen. Dann zieht er den Reißverschluss seiner Lederjacke zu und steht auf.
    »Ja-kob!«
    Du bist mal mein Freund gewesen, sagt Falk. – Ist mein Vater inzwischen aufgetaucht?, fragt Jakob mit Tintenmund. – Deine Mutter ist aufgetaucht. Von wegen Kirche und angehübscht, ey. – Und mein Vater ist nicht aufgetaucht? – Was weiß ich, wo dein Vater steckt, du Kunde. Ich weiß nur, dass du übelst komisch geworden bist. Du erzählst Abfall und lässt dir nicht in die Karten gucken. Ich werd irgendwie nicht mehr schlau aus dir. – Aber du, möchte Jakob sagen, du bist nur noch eklig, immer unter der Gürtellinie, hör dir mal zu, ey. Du kommst hier an mit deinen Westsachen, deinem Scheiß-Jo-Jo, während die gerade unsere Sachen klauen oder beschlagnahmen. Was interessiert mich der Monza von deinem Messeonkel, wo ich bloß den Škoda von meinem Vater sehen will. Du denkst immer nur an deinen Spaß, aber ich hab Schiss, was bist denn du

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