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Das halbe Haus: Roman (German Edition)

Das halbe Haus: Roman (German Edition)

Titel: Das halbe Haus: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Cynybulk
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Sie hat einen Monsterbusen. Als er das schäumende Wasser einschenkt, versucht sie zu lächeln. »Und du bist also Jakob?« Artig nickt er. Gestern Nacht hat er sich mit dem Filzer eine Tätowierung auf den Rumpf gemalt, wie sie der Harpunier Queequeg aus »Moby Dick« hat. Diese Tätowierung wird auch das Salzwasser so schnell nicht abwaschen können. »Es wäre gut, wenn du zu Ende packst«, sagt Eva. »Und überleg noch mal, ob du das Akkordeon wirklich mitnehmen willst.« – »Geht’s ins Ferienlager«, sagt der Mann im Anzug. Gerade weil es nett klingen soll, klingt es brutal. – »Auf den Darß«, antwortet er. – »Aber nicht zu weit rausschwimmen.«
    Siebenmal tritt er auf die unterste Treppenstufe, erst laut, dann immer leiser. Still bleibt er stehen, holt siebenmal Luft und krabbelt ins Versteck. Darin liegen die Taschenlampe, das Fotoalbum und ein paar zerkrümelte Katzenköpfe. Er nimmt die Kachel vom Loch. Leos Großmutter hat Krampfadern. – »Persönlich ist es tragisch«, sagt Leos Großvater. »Bezirksrekord im, was war es noch, Weitsprung.« – »So seid ihr«, sagt Eva, »lasst euern Hass schon an Kindern aus, und es ist euch egal, was ihr damit anrichtet.« – »Ich bedaure, dass du dich offenbar noch mehr radikalisiert hast.« – »Emanzipiert, Dieter.« – »Wir haben dir so viele Türen geöffnet und zahlreiche Wege gewiesen, aber du bist immer wieder abgewichen und rückwärtsgegangen.« – »Wieso hat Thomas keine Zeit für sein Kind. Er hatte doch auch Zeit, uns aus der Wohnung zu werfen.« – »Nur echte Emanzipation vermag es, dunkle Geschicke zu überwinden, die Vergangenheit abzuschließen und bewusst in eine hellere Zukunft zu treten.« – »Das sind Vorkriegsansichten. Hast du noch nie etwas von Trauerarbeit gehört.« – »Auch uns hat es sehr viel Kummer bereitet«, sagt die Frau, »aber fünf Jahre sind eine lange Zeit, und das Leben muss einfach weitergehen.« – »Unser Leben ist weitergegangen, wie ihr seht. Das eures Sohnes nicht.« – »Er ist selbst noch ein Kind, deshalb sind wir ja auch hergekommen.« – »Wir können dir nur raten, mit den Organen zu kooperieren. Sage dich von dem Mann los, und geh zurück nach Berlin. Wir können nicht nur Leonore helfen«, sagt Leos Großvater, »sondern auch dir ein weiteres Mal.« – »Mein Mann und mein Sohn brauchen mich.« – »Du hast den Jungen adoptiert.« – »Ja. Und Frank hat Leonore adoptiert.« – »Hast du dir mal überlegt, warum er bis zur Hochzeit gewartet hat, um sich dann sofort verhaften zu lassen?« – »Was heißt hier lassen?« – »Er musste doch wissen, was auf so eine Flugblattaktion folgt.« – »Wie immer bist du bestens informiert, Dieter.« – »Sieh doch den Realitäten ins Auge. Er wollte seinen Sohn in Sicherheit wissen, um ungestört seine rechtswidrige Ausreise zu erzwingen. Nichts anderes wird man ihm in der Ständigen Vertretung gesagt haben: Wer einsitzt, wird früher oder später abgeschoben. Sehen Sie zu, dass jemand in der Zwischenzeit auf Ihr Kind achtgibt.« – »Er hat dich benutzt, Mädchen«, ergänzt die Frau. Evas Zehen krümmen sich. »Kriminelle wie ihn wollen wir hier nicht mehr haben«, sagt der Mann. »Wenn sie einen Teil ihrer Strafe abgesessen haben, lassen wir sie ziehen. Aber dir muss doch klar sein, dass Leonore um jeden Preis bleibt. Und du bist ihre Mutter.« Keiner regt sich. Dann sagt der Mann: »Wir können nicht mitansehen, wie unsere Enkelin abdriftet.« – »Jahrelang habt ihr weggesehen und euch nicht um Leonore gekümmert. Man darf sich nicht Großvater schimpfen, nur weil man zu Weihnachten eine Ernst-Busch-Platte schenkt. Ich will euch sagen, warum ihr hier seid: Die paar Bonzen, die noch über dir stehen, haben dir Feuer unterm Arsch gemacht. Wenn du keine Scherereien bekommen willst, musst du der Schlampe und ihrer Tochter Zucht und Ordnung beibringen.« – »Du bist ordinär«, sagt der Mann. – »Ja«, begehrt Leos Großmutter auf, »auch für Dieter ist es schädlich.« – »Wir kommen hier nicht weiter«, sagt der Mann und steht auf. Seine schwarzen Schuhe glänzen. »Wir möchten jetzt Leonore sprechen.«
    Wenn man der Mann im Haus ist, dann ist es eben so, dass man immer alle warnen und schützen muss. Er klemmt die Kachel vors Loch und hastet die Treppe hoch. Leos Bett ist noch warm. Über das, was auf dem Spiegel steht, möchte er lachen. Es ist doch immer eine große Portion Dummheit mit im Spiel.
    Die

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