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Das halbe Haus: Roman (German Edition)

Das halbe Haus: Roman (German Edition)

Titel: Das halbe Haus: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Cynybulk
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Tiegelchen, Döschen und ein Glas mit Pinseln, Pinzette, Feile und Ohrstäbchen von Leos Schminktisch. Auch das Holzkästchen mit dem doppelten Boden. »Reg dich ab«, mault Leo, »ich bin kein Baby mehr.« – »Gnade dir Gott, wenn mir so was noch mal zu Ohren kommt«, ruft Eva.
    Vor dem Haus fährt Sören auf und ab, den zweiten Helm am Lenker, doch Leo lässt sich nicht blicken. Man darf nicht mal seinen Namen nennen, weil sie einen dann anguckt und man zu Staub zerfällt. Im doppelten Boden des Holzkästchens sind zwei Packungen Mondos Gold versteckt. Jeden Tag schleicht er sich in ihr Zimmer und guckt nach, ob sie noch da sind.
    Timo Meister von nebenan, der Beruf mit Abitur macht und schon eine ETZ 250 fährt, will wissen, ob seine Schwester die ganzen Ferien über zu Hause ist. »Ist nicht meine Schwester«, sagt er, es hängt ihm zum Hals raus. Er spuckt Timo Meister vor die Füße und sagt: »Meine Aule ist voll weiß, weil ich seit drei Tagen nix getrunken habe. Ohne Essen hält man es wochenlang aus, aber ohne Trinken nicht länger als drei Tage. Mah sehn, ob ich morgen Blut spucke wie die Kameliendame.« Da fällt dem Pickelheini nichts mehr ein, und er kickt den Starter. Bevor er losfährt, schiebt er doch noch mal sein Visier hoch. »Ich habe gehört, dass dein Vater im Bau ist.« – » Auf dem Bau«, sagt er. »Montage in Sri Lanka.«
    Seidig gekämmt und seidig lächelnd gehen sie zum Gottesdienst, alle starren sie an, das Lächeln und die Haare tun weh. Es ist ein Sonntag aus der langen Reihe der Sonntage nach Trinitatis, auch Gott hat irgendwie Ferien. »Guter Gott«, sagt der Pfarrer zum Feriengott, »wir danken dir, dass beim Kirchentag in Dresden so viele Menschen den Mut gefunden haben, deinem Ruf zu folgen. Deinem Wort gemäß wollen wir Vertrauen wagen, damit wir leben können. Wir bitten dich: Gib uns den Mut und die Kraft, denjenigen beizustehen, die an den Rand unserer Gesellschaft gedrängt sind. Gemeinsam rufen wir: Küh-ri-hä Äläj-hi-sonn.« Das ist Griechisch und bedeutet »Herr, erbarme dich«. So was lernt man im Konfirmationsunterricht. Er ist zwar nicht getauft, aber der Pfarrer hat vorgeschlagen, dass er dem Unterricht »beiwohnt« und mit vierzehn entscheidet, ob er eine Erwachsenentaufe machen möchte. Konfirmation bedeutet die Erneuerung des Taufbundes und dass man Wein aus dem Kelch trinken darf. Man sagt noch mal ja zueinander: Ja, war okey so mit der Taufe. »Guter Gott«, spricht der Pfarrer im grünen Gewand und streckt die Arme aus, »wir bitten dich: Steh denen bei, die ihrer Freiheit beraubt sind. Lass sie nicht verzagen, schenke ihnen Mut und Hoffnung und den Trost des Gebets. Gemeinsam rufen wir: Küh-ri-hä Äläj-hi-sonn.« Alle müssen den Ruf wiederholen, ob sie wollen oder nicht. Kerstin blickt vielsagend herüber. Wenn einem danach ist, kann man selbst Fürbitten schreiben und in den Fürbittenbriefkasten werfen.
    Weil die Frau des Pfarrers töpfert, töpfert Eva auch. Sie hat eine Drehscheibe in die Küche gestellt, halbnackt formt sie Vogeltränken und Krüge. Ihre Brüste und ihr Gesicht sind schlammbespritzt, abends duscht sie sich mit dem Gartenschlauch ab. Wenn der Schlauch den ganzen Tag in der Sonne liegt, ist das erste Wasser heiß. Im Kimono sitzt sie auf der Treppe und raucht. Sie ascht in einen Aschenbecher, der noch nicht gebrannt ist.
    Vor dem großen Schrank liegt wieder ein Kleiderhaufen. Aber Eva sortiert bloß die Sachen aus, die ihr nicht mehr passen. Sie beklagt ihr schlechtes Bindegewebe, ihren »Kummeraspik«. Sie zerrt Vaters Kleidung aus dem Schrank, hängt die Schlipse in die Büsche. Sie macht Modenschau in Vaters Kleidern und in ihren. Sie singt »trie-dap-en, trie-dap-en-du«, er hört es bis in die Waschküche. Er hat Wäschedienst und soll ihre Hosen besonders gut »im Zwickel« waschen. Das Brokatkleid passt ihr nicht, sie führt einen Veitstanz auf, es kommt auf den Haufen.
    In der DDR wird wohl bald Westgeld verteilt werden, weil eine ganze Milliarde davon über die Grenze kommt, mit Bürgschaft der Bundesrepublik, wie es in der Tagesschau heißt. Mit Westgeld ist nicht zu spaßen, es ist zu schade für die Kleinmesse und die Automaten.
    Guter Gott, ich bitte dich, mach die Mutter locker, auch an den ETZ s der Rocker, Küh-ri-hä Äläj-hi-sonn.
    »1977 – 1983« schreibt er auf das Katzenkreuz. Am Tag des freien Buches las ein beleidigter Schreiberling an ihrer Schule. Er sei kein Autor, sondern ein Schriftsteller,

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