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Das halbe Haus: Roman (German Edition)

Das halbe Haus: Roman (German Edition)

Titel: Das halbe Haus: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Cynybulk
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Weisheiten des Konfuzius: Das Gesicht eines Menschen erkennst du bei Licht, seinen Charakter im Dunkeln. Falk besaß Matchbox-Autos und Asterix-Hefte. Er schlief in Bundesliga-Bettwäsche. Falk kannte sich aus, er wusste alles über den Westen.
    Pfeifend kam er um die Ecke, die Hände in den Hosentaschen. Er zückte die Rechte, und sie gaben sich die Hand. »Was hast du da drin?«, fragte Falk, eine Atemwolke vor dem Mund, und zeigte auf Jakobs Rucksack.
    Jakob blickte sich um und sagte: »Ich mache rüber.«
    Falk pfiff wieder, diesmal nur zwei Töne: die allseits anerkannte Melodie des Erstaunens.
    »Bist du dabei?«, fragte Jakob.
    Falk kratzte sich am Hinterkopf. Sah zum Haus, sah die Straße rauf und runter. Jakob hoffte, dass er jetzt »sowieso« sagen würde, wie damals am ersten Schultag und seitdem so oft. Falk zog die Nase hoch, spuckte aus und sagte: »Nee.«
    »Wir können bei meiner Oma wohnen«, sagte Jakob, eine Oktave zu hoch. »Bad Itz, am Kurpark. Es gibt Heilwasser, wir können kegeln.«
    »Geht nicht«, sagte Falk. »Aber ich komm ein Stückchen mit.« Er blickte auf seine Uhr. »Um vier muss ich wieder zu Hause sein. Da bringen wir meine Schwester zurück. Uhrenvergleich?«
    Falk ließ sich von Jakob die zuverlässigere Quarz-Zeit sagen und stellte seine Ruhla-Handaufzug danach. In der Uhrenfrage lagen die Dinge komplett anders als sonst. Dann ging er noch mal ins Haus, um seinen Hirschfänger und ein Heftchen Straßenbahnfahrkarten zu holen, und dann endlich machten sie sich auf den Weg.
    Jakob sagte, dass es mit dem Zug am einfachsten sei. Wie er das denn schaffen wolle, nach drüben zu gelangen, fragte Falk. Er habe da etwas in der Hinterhand, sagte Jakob, und so liefen sie nach Norden, Richtung Bahnhof.
    Sie querten die Großwiese, auf der eine hauchfeine Schicht frostigen Schnees lag. Ihre Schuhe hinterließen einen Pfad dunkler Abdrücke. Am Fuß des Tafelbergs befand sich seit Neuestem ein Friedhof für Weihnachtsbäume. In deren Nadelgeäst hing noch Lametta, klebte ein Fähnchen blaugefärbter Watte oder ein Engelshaargespinst. Oben auf dem Berg entdeckten sie eine Batterie Sektflaschen, die zum Raketenabschuss in Reih und Glied aufgestellt worden waren. Daneben lagen Goldbrand-Fläschchen, Zigarettenkippen und Mondos.
    Falk trat eine Sektflasche um und sagte: »Drüben brauchst du vor allem einwas.«
    Jakob trat auch eine Sektflasche um. »Was denn?«
    »Moneten«, sagte Falk. »Nur damit biste wer im Westen, sagt mein Vater.« Er rieb den Handschuhzeigefinger am Handschuhdaumen.
    »Meine Oma hat bald Moneten«, sagte Jakob.
    »Man kann sogar Frauen kaufen im Westen«, sagte Falk. Er sprach leiser, obwohl sie allein waren.
    Jakob konnte nicht erkennen, dass er flunkerte.
    »Ja«, sagte Falk. »Man kann in Spezialläden gehen, da gibt es Frauen zu kaufen. Sie liegen nicht in Regalen oder so, das wäre ja unbequem, sie sitzen auf Hockern in geschlitzten Kleidern oder mit nix an.«
    »Mit nix an?«
    »Ja, nacksch.«
    »Und dann?«
    »Dann sucht man sich eine aus und bezahlt sie.«
    »Wie viel kostet denn so eine Frau?«
    »Schwer zu sagen«, sagte Falk. »Es hängt ja wohl auch von der Haarfarbe ab. Und ob sie Doktor ist oder nur Lehre gemacht hat. Bestimmt auch, ob man sie mit was an oder mit nix an kauft. Wer reich ist, kann auch gleich mehr mitnehmen.«
    Jakob erinnerte sich dunkel an Märchen, in denen Sultane vorkamen, die viele Frauen in einem … Harem hielten. Genau, Harem war das Wort. Frauen aus aller Herren Länder und so farbenreich wie der Regenbogen. »Und dann?«, fragte er.
    Falk zuckte die Schultern. »Dann ficken.«
    Jakob hatte genau gewusst, dass es darauf hinauslaufen würde. Es lief ja in letzter Zeit irgendwie immer darauf hinaus. Recht war es ihm nicht, dass Falk so grob daherredete, doch gleichzeitig hatte er gehofft, dass sein Freund kein Blatt vor den Mund nehmen würde. Zwar hatte Falk selbst noch nicht gefickt, aber er wusste alles über das Ficken. Zu Beginn des Schuljahres hatte er auf dem Pausenhof einen Streit zwischen zwei Jungen beendet. Der eine sagte, Kinder bekomme man vom Knutschen, vor allem mit Zunge. Der andere sagte, Kinder bekomme man aus Liebe, mit Herz und Hochzeit. Falk sagte, Kinder bekomme man vom Ficken, Schwengel und Dengel, er hätt’s mal heimlich beobachtet, und dann sei der Bauch dick gewesen. Gefragt, was genau beim Ficken passiere, hatte Falk nur gelächelt und gesagt, für ’nen Zehner würd er’s erzählen. – »Ja, klaro«,

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