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Das halbe Haus: Roman (German Edition)

Das halbe Haus: Roman (German Edition)

Titel: Das halbe Haus: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Cynybulk
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Puppenhaus kann man in die Wohnzimmer sehen: Fransenlampen, Toilettenschüsseln. In den Schatten sitzen Kinder, ein Greis zieht einen Leiterwagen mit Backsteinen, unter einer Kastanie steht ein pissender Esel. Jeeps und Armeelaster fahren neben der Bahn her. Ein Kabelwerk taucht auf, Fertigungshallen, nur noch die Stahlgerippe stehen, enthauptete Türme, struppiger Stadtwald. Auf den Trümmern sitzen Worte, bereit, ihr etwas zu zeigen. Doch auch die Scham ist, wie der Schmerz, auf die Dauer nicht zu ertragen.
    In Karlshorst fließt ein schmaler Fluss. Seine Ufer sind gleichmäßig mit Eisen befestigt, die Anlegestelle ist zerstört. An der breiten Straße stehen mehrstöckige Gebäude voller Einschusslöcher. Sie fragen Soldaten mit roten Armbinden, auf denen » KN « steht, nach dem Weg zur Kommandantur. Schaffst du es nicht, fragt Polina ihre Freundin. – Ich will es versuchen, sagt diese. In der Kommandantur will man die beiden nicht vorlassen. Sie redet auf die Ordonnanz ein, auf Russisch, vergeblich. Als sie gehen, torkeln ihnen die Offiziere aus dem Zug entgegen. Sie lassen sich das Anliegen schildern und reden mit der Ordonnanz. Der Oberst sei auf der Bahn, sagt die Ordonnanz schließlich. Franks Beule, Liesls steifer Rücken.
    ★
    Ein Geräusch nimmt Gestalt an. Aus einem Knistern wird ein Rollen wird ein Rattern. Schwarze Späne tanzen im Licht, wie Schattenlaub in einem besonnten Bergbach. Ich bin ein Fisch, denkt sie, ein Fisch. Oder bin ich ein Mensch, ein müder Mensch. Jemand hält ihre Hand, warm und trocken. Es tut ihr gut, sie schließt die Augen, doch das Licht dringt durch ihre Lider. Sie schnellt nach vorn, reißt sich los. »Dawaj!«, ruft sie.
    Hermann sieht sie müde an. In seinem Sitz schiebt er sich nach oben.
    »Herrgott, wie spät ist es?«, ruft sie und steht auf.
    Er sucht seine Uhr, dreht das Handgelenk ins Leinwandlicht, beugt sich darüber und murmelt: »Viertel nach vier.«
    »Sie sollten mir Bescheid geben. Um drei. Wegen dem Roten Kreuz!«
    »Es tut mir leid, Paulina …«
    »Ich heiße Polina!«, ruft sie. »Mit o!«

10. Die Schau
    Klein, hübsch und bang steht sie vor ihm, ein beliebtes Monatsmagazin in der einen Hand und einen Umschlag in der anderen. »Frank, ich muss dir etwas gestehen«, sagt sie.
    »Bitte keine schlechten Nachrichten, Anita«, sagt er.
    »Lass uns in den Schutzraum gehen, da können wir ungestört reden. Ich habe den Schlüssel besorgt.«
    »In Ordnung. Aber wieso ist der abgeschlossen? Muss ein Bunker nicht immer offenstehen?«
    »Darüber habe ich noch nicht nachgedacht.«
    Im flackernden Neonlicht setzen sie sich auf eine der Liegen. Am Kühlschrank klebt ein Plakat, das die verschiedenen Alarmsignale erklärt: für einen nuklearen Angriff, einen chemischen, einen konventionellen und einen zum Üben.
    »Es ist ein Skandal«, sagt er, »dass sie die Proben eingelagert haben und uns bloß ein Handarchiv bleibt.«
    »Die Sache ist die«, sagt sie.
    Zuerst traut er seinen Ohren nicht. Dann muss er aus vollem Hals lachen, dann ist er gerührt, und nachdem er seine Annonce gelesen hat, ist er nachdenklich.
    »Es sind über zweihundert Zuschriften eingetroffen«, sagt Anita. »Daraus haben wir die beste für dich ausgewählt.« Sie hebt den Umschlag hoch.
    »Wie«, fragt er amüsiert, »und die vielen anderen wollt ihr mir vorenthalten?«
    »Wir haben es uns nicht leichtgemacht«, sagt sie und erklärt, dass sie wissenschaftlich vorgegangen seien. »Dr.   Spohn hat extra eine Methode entwickelt.«
    »Na, dann kann ja nichts schiefgehen. Und wonach habt ihr ausgewählt?«
    Sie zögert, bevor sie antwortet: »Wie es in deiner Annonce steht: polyglott, klug, sinnlich, übersinnlich, diese Dinge eben. Jemand mit Niveau. Eine Frau, die einen höheren Begriff von sich hat.«
    »Herrschaftszeiten, meine Annonce«, sagt er. »Und wer war noch mit von der Partie?«
    Sie nennt ihm die Frauen.
    »Inge auch«, sagt er.
    »Ich wusste ja nicht, dass ihr was miteinander hattet.« Der Kühlschrank rumort.
    »Ich weiß wirklich nicht, ob ich es lustig finden soll. Kann ich wenigstens den Brief sehen, den ihr ausgewählt habt?«
    Sie reicht ihm eine schlichte Karte.
    »Kein Foto?«, fragt er, nachdem er den Text gelesen hat.
    »Wir wollten nicht so nach dem Äußerlichen gehen.«
    »Die Katze im Sack also. Und wie geht es jetzt weiter? Erwartet ihr, dass ich der Dame schreibe?«
    Sie schüttelt den Kopf und gibt ihm den Umschlag. Darin befinden sich weitere Postkarten. Er

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