Das halbe Haus: Roman (German Edition)
denkt an die Geschichte des jungen Mannes, der aus Liebe mit dem Fahrrad bis an die Ostsee gefahren ist, weil sein Motorrad kaputt war. Zuerst radelte er auf dem Seitenstreifen der Autobahn, dann, nachdem die Bullen ihn runtergewinkt hatten, über Landstraßen und Feldwege. Oben angekommen, saß seine Liebste auf dem Schoß eines anderen, sein Muskelkater war ein Witz. Sieben Wochen später haben sie trotzdem geheiratet, er und Friederike waren Jaspers und Coras Trauzeugen.
Auf der Straße nach Sandau muss Frank langsam fahren: Ein Bus ist liegen geblieben. Zwei Männer, vier Frauen und ein Junge schieben den Bus an den Straßenrand. Dort parkt schon ein Anhänger in derselben sonderbaren Farbe, es ist weder Mint noch Türkis. Auf den Seiten des Busses und dem Heck des Anhängers stehen schwarz geschwungen die Buchstaben J und P.
Die Männer und Frauen, die den Bus anschieben, sind jung. Einer ist an die zwei Meter groß und hat das Kreuz eines Schwimmers, der andere Mann hat einen hellen Anzug an. Die Frauen gehen barfuß. Sie sind wie Zigeunerinnen gekleidet, in lange bunte Röcke, Blusen mit kurzen Ärmeln und bestickte Westen. Sie haben Tücher um die Köpfe gewunden und tragen große Ohrringe und Sonnenbrillen. Sie sind schlank. Am Steuer sitzt eine Blondine im Overall. Frank hält neben dem Bus und ruft durch Jakobs Fenster: »Brauchen Sie meine Hilfe?« Als er keine Antwort bekommt, versucht er es auf English: »Need you my help?« Das sind Holländer oder Belgier, denkt er.
Eine der Frauen löst sich vom Bus, lacht ihn an und sagt: »As a matter of fact: Yes.«
»What?«, ruft Frank.
»Sie hat ja gesagt«, erklärt Jakob, und Frank fährt rechts ran. »Außerdem muss es heißen: › Do you need my help.‹« Seit Beginn des Schuljahres hat er einmal pro Woche Englisch, der Mister Schlaumeier. English for you: say after me, please.
Frank steigt aus und fragt die blonde Fahrerin, die doch eher wie eine Schwedin aussieht: »What is it with the car? I mean the bus?«
»Ick gloobe, der Riemen ist hin«, sagt sie in nölendem Berlinerisch.
Frank besieht sich den Bus genauer. Nur die Farbe, dieses hintergründige Grün, ist exotisch, in Wahrheit handelt es sich um einen Barkas 1000 mit acht Sitzen, Dachluke und seitlicher Klapptür. Ein hiesiger Zweitakter, nur 46 PS , der auch mit PKW -Fahrerlaubnis benutzt werden darf und beliebt als Krankenwagen und Feuerwehrauto ist. Nur akut krank darf man nicht sein, und schnell brennen sollte es auch nicht, denn die Tachonadel bleibt zuverlässig unter 100 km/ h kleben. Der Anhänger ist ein umgebauter HP 500 mit Kastenaufbau.
»Wenn Sie wollen, schaue ich mir das mal an«, sagt er.
»Ja, bitte«, sagt die Blondine, »meine Boys haben davon keine Ahnung.«
Während er seinen Kopf in den Motorraum steckt, versammeln sich alle um ihn. »Was ist das für eine ausgefallene Farbe?«, fragt er blechern.
»Tiffany Blue«, sagt die Blondine.
»Das ist doch kein Blau«, sagt er und rumpelt in den Eingeweiden des Busses.
»Der Laie denkt das gerne mal«, sagt einer der Männer, »aber es ist in Wahrheit eine Blauvariante.«
»Mein Lackierer hat sich ooch gewundert«, meint die Blondine. »Einmal hat er eine Schwalbe kotzegelb lackieren sollen, also das Zweirad, nicht den Vogel. Das sei das Bekloppteste gewesen, was man je von ihm verlangt hat. Bis ick jekommen bin mit meinem Tiffany Blue.«
»Wer ist Tiffany?«, fragt Frank und verbrennt sich die Finger am Kühler. So ein Kühler soll doch kühlen, Scheibenkleister.
»Kennen Sie ›Frühstück bei Tiffany‹?«, fragt eine der Frauen. Er weiß nicht, welche, vielleicht die, in deren englisches Messer er gelaufen ist.
»Ich kenne Frühstück bei Muttern«, antwortet er und kommt sich doof vor.
»Das ist ein berühmter Film nach einem berühmten Roman«, sagt die Frau. Es ist die Englische. »Tiffany’s ist das berühmteste Schmuckhaus der Welt und spielt eine wichtige Rolle in dem Film. Es befindet sich in New York an der Fifth Avenue. Im 19. Jahrhundert haben sie für ihre Kataloge eine eigene Farbe kreiert …«
»… unser Tiffany Blue«, übernimmt die Blondine. »Seitdem machen sie jede Broschüre, jede Schleife und jede Geschenkbox in dieser Farbe.«
»Sie steht für zeitlose Eleganz, hohe Qualität und Individualität«, sagt eine andere Frau.
»Und ist mal was anderes als dieses ewige Ladabeige oder Trabiblau«, sagt die Blondine.
Frank taucht aus dem Motorraum auf und betrachtet das Grüppchen.
Weitere Kostenlose Bücher