Das halbe Haus: Roman (German Edition)
Stirnbänder und ein Transparent, auf dem noch einmal nachzulesen ist, was sie rufen. In der Tür steht ein Mann in Tarnweste, der in gekrümmter Haltung die jungen Menschen fotografiert. Er geht um sie herum und knipst das Aquarium, dann richtet er das Objektiv nach oben auf Hermann, seine Schwester, Polina und die Kellnerinnen, die ebenfalls herbeigekommen sind. In schneller Folge drückt er auf den Auslöser.
»Was soll das?«, fragt Hermann.
»Das ist eine Aktion«, sagt die junge Frau, »gegen Tierquälerei.«
»Ja, spinnt ihr jetzt?«, wiederholt die Schwester.
»Forellen sind Flussfische«, sagt der junge Mann, »sie brauchen Fließwasser, frisch und klar. Karpfen gehören in einen Teich, und Welse auch. Es ist Tierquälerei, alle drei in einen engen Bottich zu sperren.« Der Fotograf knipst jetzt die jungen Menschen frontal. Mit dem freien Arm weist er die beiden an, ein Stück auseinanderzugehen, damit sich ihr Transparent spannt und gut zu lesen ist.
»Wieso Flundern?«, sagt eine der Kellnerinnen.
»Wegen dem Reim«, sagt die andere.
»Es gibt auch Flusswelse«, flüstert Polina Hermann zu. Als sie klein war, erzählte ihr der Bruder, dass die Welse aus dem Schwarzen Meer die Flüsse emporwandern, riesigen Walen gleich, und die Flößer und Fischer und das Vieh, das am Fluss getränkt wird, verschlingen. Welse, die den schlammigen Grund ausfüllten, deren Barthaare vom einen zum anderen Ufer reichten, und wenn das Bein eines Schwimmers diese Antennen berührte, dann war es um den Schwimmer geschehen.
»Es gibt auch Flusswelse«, ruft Hermann nach unten.
Die jungen Leute sehen sich an, das Transparent hängt durch. Dann sagt die junge Frau: »Es ist und bleibt nicht artgerecht. Es ist Tierquälerei und Freiheitsberaubung.« Sie lässt ihren Stock sinken. »Es muss jemanden geben, der das anprangert. Es geht nicht an, dass immer weiter geschwiegen wird, während der Natur und ihren Kreaturen so viel Böses zugefügt wird. Wir müssen ein Zeichen setzen.« Damit sieht sie den jungen Mann an, der nun auch seinen Stock sinken lässt und den Vorschlaghammer, der neben seinem Bein steht, anhebt. Für den Fotografen hält er einen Moment inne, dann geht er zum Aquarium und schlägt zu. Beim dritten Schlag platzt das Glas, und der Wasserschwall reißt ihn von den Füßen. Er liegt inmitten der Fische, im Tang, im Nass. Die Fische zappeln. »Zuerst die Forellen«, sagt das Mädchen. Weil sie die Fische nicht zu fassen kriegt, legt sie den gekippten roten Plastikeimer vor die zuckenden Forellen, und Karl schiebt sie hinein. »Jetzt rüber zur Itz«, sagt sie, und gemeinsam rennen sie aus dem Haus. Der Fotograf hält ihnen die Glastür auf und folgt ihnen.
»Hermann, ruf die Polizei und die Karla«, sagt die Schwester tonlos. Unten liegen ein Transparent, ein großer Hammer, vier glänzende und zuckende Karpfen und ein schlafender Wels. Hermann, tu dies, Hermann, tu das, sie redet mit ihm wie eine Mutter mit ihrem Kind, denkt Polina.
Der Fotograf ist wieder an der Tür und hält sie für das keuchende Paar auf. Der rote Plastikeimer ist nun mit Wasser gefüllt. Mit vereinten Kräften gelingt es dem Mädchen und Karl, die schlüpfrigen Karpfen hineinzubefördern.
»Was ist mit dem Wels?«, fragt der junge Mann. »Kann der nun auch in den Fluss? Kommt der klar da? Oder muss der auch in den Teich?«
Das Mädchen kniet neben dem reglosen Fisch und streichelt ihn.
»Was ist mit dem?«, setzt Karl nach. »Ist der jetzt hinüber? Soll der in den Fluss oder was? Und wie lange halten die da durch?« Er zeigt auf die Karpfen.
»Jetzt verlier nicht die Nerven«, sagt das Mädchen und streichelt weiter den Wels.
»Karl«, sagt eine Frau, die ans Geländer getreten ist, »schaff den Waller in den Fluss, und dann hilfst du mir beim Reinemachen.«
Der junge Mann schaut die Frau an. »Ich –«, sagt er.
»Schaff den Fisch raus, Bub.«
»Ja, Mama.« Wie eine Katze nimmt er den Wels in den Arm und trägt ihn zum Fluss.
Die Frau geht die Treppe hinunter und fängt an, Glasscherben aufzusammeln. Sie hat einen Kropf. Das Mädchen hilft ihr mit gesenktem Kopf. Als der junge Mann zurückkommt, ist die Sirene zu hören, und dann treten zwei Polizisten ein, Waffen an den Hüften. Der Einsatzwagen wirft blaue Blitze ins Foyer, der Fotograf knipst. Hermanns Schwester löst sich von der Brüstung und schreitet Stufe für Stufe den rechten Treppenschwung hinab. Sie schildert den Vorfall, die Beamten sprechen von
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