Das halbe Haus: Roman (German Edition)
wir alle Exponate in den Größen 48 bis 54 vorrätig, für die Damen von m 76 bis m 94. Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen mit unseren Dressmen und Mannequins.«
Applaus brandet auf. Die Sängerin macht »daba-daba-du«.
»Hier sehen Sie zum Auftakt«, singt Jenny Posner, »unsere maritime Kollektion. Dieser Sommer wird blau und weiß wie unsere Dessins. Die Oberteile stammen aus dem Trikotagen-Kombinat Karl-Marx-Stadt, die weiten Leinenhosen im Marlene-Schnitt aus unserem Atelier im Prenzlauer Berg, dem Montmartre Berlins. Desgleichen die Muschel- oder Bernsteinketten, die Britt und Carmen zieren.«
Im Gleichschritt staksen die zwei Mannequins nebeneinander bis zum Scheitelpunkt, wo sich ihre Wege trennen. Je am Ende ihres Stegs stemmen sie die Hände in die Hüften und winkeln ein langes Bein an. Flamingos, denkt Frank. Sie wechseln Stand- und Spielbein und wenden ihre Hüften wie Radare. Das Publikum klatscht.
»Übelst peinlich«, sagt Jakob.
»Auch die Herren«, sagt Jenny Posner, »kombinieren in diesem Sommer das Sportliche mit dem Eleganten.«
In einem blendend weißen Leinenanzug betritt René den Laufsteg, sein Borsalino ist ebenfalls weiß. Thor trägt Hemd und Pullunder zur Leinenhose. In der Hand hält er einen Tennisschläger, mit dem er Schlagbewegungen nachahmt, während er und René über den Steg schaukeln. Sieht irgendwie unrund aus, denkt Frank.
»Die dreifarbig geringelte Passe am Herrenwestover erhält durch die Folklorekante einen schmückenden Abschluss«, sagt Jenny, als Thor vor ihrer Nase den Schläger schwingt. »Und ein schöner sportiver Gag sind die lässig aufgeschlagenen Ärmel des Blazers«, ergänzt sie, hinüber zu René zeigend.
Die Boys sind nur Garnitur, denkt Frank. Man merkt an ihrer Unsicherheit und dem wohlwollenden Desinteresse des Publikums, dass sie nicht die Hauptattraktion sind. Das sind die Ladys. Die Boys sind bloß die carpenter , die Teppichverkäufer.
»Kommen wir zum eleganten Part«, sagt Jenny. »Philippa und Carmen führen uns Kombinationen aus Rock und Blazer vor. ›Kurz, kürzer, am kürzesten‹ lautet die Parole in diesem Frühjahr, meine Damen – und meine Herren. Wenn es nach den Pariser und Mailänder Couturiers geht, steigen in diesem Jahr die Rocksäume. Wir sagen: Die Rückkehr zum Minirock ist beschlossene Sache. Enge, das Knie umspielende Röcke, dazu hüftlange Blazer mit viel Schulter, eine forsche Dreieckssilhouette. Vortreffliche Begleiter sind moderne Broschen, glänzende Einstecktücher und Strohhüte mit kurzer Krempe.«
Welch ein Jargon! Frank muss lächeln. Dennoch gefällt ihm die Präsentation. Wie eine Geschichte, die sich ziert, steigert sie seine Spannung und Vorfreude.
»Die Herren der Schöpfung lieben das Abenteuer und die Exotik«, seufzt Jenny Posner. »Sie wollen ferne Kontinente erobern. Dazu tragen sie den neuen Safari-Look in Beige oder Oliv. Applizierte Taschen im Brust- und Schoßbereich bieten Platz für Kompass, Messer oder Fernglas.« Tropenhelme verschatten die Augen von René und Thor. Beide haschen mit ihren Schmetterlingsnetzen unsichtbare Insekten. »Die Gürtelschnallen sind handgefertigt aus echtem Horn vom Balkanwidder. Wir scherzen nicht, Mesdames et Messieurs. Die Kragen sind kurze Stehkragen, überhaupt sind das Revers und der Klappkragen kein Muss mehr. Anything goes.«
»Änißing go-es!«, schimpft ein Rentner mit Politbüro-Hut hinter ihnen. »Als ob das so einfach wäre. Es geht eben nicht änißing. Auch die Mode muss sich einer objektiven Wahrheit beugen. Nicht mal so, und dann wieder so, nur weil denen gerade langweilig ist.«
»Sei ruhig, Herbert«, sagt die Frau neben ihm.
Aus dem Pavillon treten Britt und Carmen hervor. »Die reife oder die romantische Frau darf dem Minirock ruhig entsagen und stattdessen lange, schwingende Röcke in Punkt-, Streifen- oder Blumendessins tragen. Dazu Oberteile im Strick-Schick. Die naturhafte Optik von Britts Twinset ist besonders ansprechend, die Perlenapplikation auf Carmens Pullover sehr apart. Die Perlen gruppieren sich links, Gentlemen, wo das Herz sitzt. Der größte Schmuck einer Frau ist und bleibt ihr Herz.«
Warum nicht der Kopf?, denkt Frank.
»Papa?«, sagt Jakob.
»Hm.«
»Stimmt es, dass man im Westen Frauen kaufen kann?«
»Hm.«
»In echt? Woher weißt du das?«
»Wie?«
»Ob man im Westen Frauen kaufen kann.«
»Wo hast du das denn her?«
»Von Falk Ulmen. Und der hat es aus einem Buch.«
»Ah.«
»Und, kann
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