Das halbe Haus: Roman (German Edition)
man?«
»Ja.«
»Papa?«
»Hm.«
»Willst du deswegen in den Westen?«
Jetzt erst erreichen die Worte sein Bewusstsein. »Nein! Um Gottes willen«, sagt er. »Wo schnappst du nur solche Sachen auf!« Er sucht einen schnellen, klärenden Satz, kann aber keinen finden. Mit ihm ist es komisch: Mal sinnt er nur und kann nichts sagen, mal spricht er nur und kann nichts denken. Mal ist er nur außen, mal nur innen. Eine Mischung wäre gut.
»Falk Ulmen hat gemeint, dass es so Frauen gibt. In geschlitzten Kleidern oder eben nackig«, setzt der Junge nach, wird aber von Jenny Posner unterbrochen:
» … und damit sich der kleine Lord in der ersten Reihe nicht langweilt, kommt jetzt etwas für die Jugend.« Die Kapelle spielt flott auf, die Sängerin macht »trie-dap-en, trie-dap-en-du«, und Jenny Posner raunt in ihr Mikrofon: »Die jugendliche Dynamik spiegelt sich in einem sportlichen Bekleidungsstil wider, international unter dem Motto action propagiert. So können wir Funktionalität und fröhliches Stilgemisch bei unserer Leo bewundern.«
Ein Mädchen in rotem Rollkragenpullover und Jeans-Shorts tritt eckig über den Steg. Missmutig starrt sie auf ihre Sandalen. Ihr Mund ist rot, die Wimpern scheinen getuscht zu sein.
»Der Junge vom Bus heißt Leo?«, fragt Frank.
»Das täuscht wegen der kurzen Haare«, sagt Jakob.
»So geht die Jugend heute«, sagt Jenny Posner und scheucht das Mädchen zurück hinter den Markisenstoff. »Haben Jugendliche eher eine Vorliebe für lässige Bekleidung, gibt es doch auch feierliche Anlässe wie einen Konzertbesuch, die Jugendweihe oder wenn die Mutti wieder heiratet.« Ungeduldig sieht sie zum Pavillon hin. Die Musik tritt auf der Stelle. Als sich das Mädchen nicht blicken lässt, macht Jenny Posner einen großen Schritt und läuft, das Mikrokabel hinter sich herziehend, auf die Säulen zu. »Gleich werden wir phantasievoll-romantische Wollware zu langen Röcken für solche Anlässe sehen.« Sie beugt sich hinter die Abdeckung, und man kann sie sagen hören: »Wo bleibste denn? Mensch, Kleene, mach hinne.«
In Rock und Häkeljäckchen, mit Blumenkranz auf dem rappelkurzen braunen Haar, trottet das Mädchen endlich über die Bretter. »Eine wirkungsvolle Filethäkelpasse berandet den spitzen Ausschnitt des Jäckchens«, sagt Jenny Posner. »Käuflich zu erwerben bis Größe 164.«
Jetzt wird’s aber doch mal Zeit, denkt Frank. Ein Mann aus dem Publikum sieht das ähnlich: »Was is nu mit die Bikinis?«, ruft er. Die Offiziersanwärter lachen, und die Freie Deutsche Jugend kichert.
Jenny Posner geht zurück auf das Podest und stoppt per Handzeichen die Musik. »Wenn die Mutti wieder heiratet oder zum ersten Mal ja sagt, dann ist das natürlich ein ganz besonderer Tag. Viele sagen, es sei der schönste Tag im Leben einer Frau. Zumindest ist es vorübergehend der schönste Tag im Leben einer Frau.« Ein wenig von ihrem nölenden Berlinerisch kommt durch, das Publikum lacht. Die Musiker legen ihre Instrumente ab und nehmen neue auf: Klarinette, Akkordeon, Geige.
»Auch die Schönheit geht vorüber, das ist bekannt. Doch am Brauttag soll sie ewig sein. Das passende Kleid dafür präsentiert Ihnen: Bella.« Jenny Posner gibt der Band ein Zeichen und verlässt das Podest. Die Klarinette lacht, die Geige fiedelt, und die Sängerin singt nun doch. Sie singt: »Matchmaker, matchmaker, make me a match.«
Bevor er ausreichend darüber nachdenken kann, was ein matchmaker ist (ein Spielmacher?), sieht er sie. Im schulterfreien Kleid aus rieselndem Weiß betritt sie den Steg. Ihr Blick findet ihn, sie begrüßen sich mit den Augen. Mit atmendem Gang kommt sie auf ihn zu. Ihr hochgestecktes Haar hat tatsächlich die Farbe von Erdbeeren. Biondo mit einem Hauch Kupfer. Die Renaissancemaler wären verzückt gewesen, Botticelli hätte seine Venus zum Teufel gejagt. Ich bin ein Renaissancemaler, denkt Frank. Ja, zum Teufel mit allen durchschnittlichen Schönheiten und allen durchschnittlichen Malern. So schön wie ich kann diese hier keiner anschauen. Hals, Schultern und Arme sind rank und fest, die Haut ist leicht gebräunt: Pallas, da sie vor dem Hirten steht. Statt Ohrringen trägt sie wieder Tollkirschen. Ihre Lippen wären den Malern zu voll gewesen, man darf nicht zu lang auf diese Lippen starren. Sie bleibt vor ihm stehen und lässt ihren Blick über die Kuppen ihrer Brüste zu ihm hinunterfallen – ohne Flamingobein oder Radarhüfte. Er spürt ein Ziehen in den Lenden.
»Warum
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