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Das halbe Haus: Roman (German Edition)

Das halbe Haus: Roman (German Edition)

Titel: Das halbe Haus: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Cynybulk
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mitbekommt.
    Jakob stößt die Tür ein Stück weiter auf, sodass er sogar Kronows Rücken sehen kann, die strenge Falte in seinem Gehrock, aber er versteht zum Teufel nicht, was sein Trainer über ihn sagt. Nur manchmal tauchen einzelne Worte auf. Ihm ist so, als sei eben das Wort »Scherz« gefallen, aber vielleicht hat er nur einen Buchstaben überhört. Dann glaubt er, »Kulissen« und »Rhabarber« zu vernehmen, was überhaupt keinen Sinn ergibt, was hat er, Jakob Friedrich, Altersklasse zwölf, Regenstraße 27 usw., mit Rhabarber und Kulissen zu tun? Ein einzelnes »fest« fällt noch aus dem Gemurmel heraus, »fest«, denkt Jakob, im Sinn von »hart« oder wie, oder wie in »Sportfest« oder was, aber der Trainer tut ihm keinen Gefallen und murmelt weiter. Nur noch »Norm« kann er hören.
    Als der Trainer geendet hat, legt Kronow den Kopf in den Nacken und seufzt. »Gustav, du weißt doch, wie die Dinge laufen.«
    »Ich habe es nicht vergessen, Bruno.«
    »Und du weißt doch auch, wieso das so ist. Wir sind es doch, die verhindern müssen, dass sich die Geschichte wiederholt.«
    »Genau davon habe ich gesprochen«, sagt der Trainer.
    Kronow überlegt, bevor er spricht: »Ich habe die Bombenteppiche, den Volkssturm und meinen Alten, das Nazischwein, überlebt. Am Schluss war ich noch immer ein Hitlerkind, das an den Führer glaubte. Wir alle waren so am Ende, so fertig und voller Fehl.«
    »Du weißt, wie es mir ergangen ist«, antwortet der Trainer.
    »Ich will mich nicht auf eine Stufe mit dir stellen, und ich will auch nicht dein Mitleid. Ich will es dir nur erklären.« Kronow setzt seinen Hut ab. »Ich stand«, sagt er, »auf dem Sportfeld, die Ränge waren zerbombt, nur die Bahn war heil. Makellose rote Bahn. Die Vögel sangen, der Löwenzahn blühte um den Krater im Rasen, und ich nahm den Ring in den Mund. Ich hatte zwei Möglichkeiten: Abbeißen oder Umdenken. Ich habe umgedacht.«
    »Schmeckst du noch das Metall? Ich weiß, wie Metall schmeckt, werd es nie vergessen. Soll ich’s dir beschreiben?«
    Kronow lässt den Kopf nach vorn fallen. Sein Rücken hebt und senkt sich. Nach einer Weile gibt er dem Trainer eine Antwort, aber nun ist er es, den Jakob nicht versteht. Nur das Wort »Risiko« glaubt er zu hören.
    Als er endet, sagt sein Trainer: »Abgemacht.«
    Kronow und der Trainer schütteln einander nicht die Hand, aber auch Kronow sagt: »Abgemacht«, bevor er seinen Hut aufsetzt und die Kabine verlässt.
    Der Trainer klopft sich mit der Faust gegen die Stirn. Plötzlich schreit er: »Komm raus, du dämlicher Bengel!«
    Durch den Türspalt sucht Jakob den dämlichen Bengel, und dann kann er plötzlich nicht mehr schlucken.
    »Komm raus«, wiederholt der Trainer, noch laut, aber nicht mehr schreiend.
    Jakob stößt die Tür auf und tritt vor.
    »Setz dich. Dahin«, sagt der Trainer.
    »Ich wollte das nicht, ich hatte«, sagt Jakob noch im Stehen, »Durchfall, und dann hörte ich Sie und den Herrn mit dem Hut, den Herrn Kronow, und dann habe ich eben –«
    »Dann hast du eben gelauscht, ohne Abspülen und Arschwischen.«
    »Ja«, sagt Jakob, selbst ganz überrascht, dass ihm nichts Schlaueres einfällt.
    »Ja«, wiederholt der Trainer, holt einen winzigen Kamm aus der Brusttasche seines Hemdes und nimmt Jakob gegenüber Platz. Mit der einen Hand ertastet er den tiefsitzenden Scheitel, mit der anderen setzt er den Kamm an und führt ihn vorsichtig über die Strähnen.
    »Wieso ist René Kupfer ein Monster?«, fragt Jakob.
    »Vergiss es einfach«, sagt der Trainer, verstaut den Kamm und nimmt sich eine Banane. Er schält die Banane und beißt hinein. Nachdem er die Banane aufgegessen und die Schale in Smoktuns Ecke geschleudert hat, nimmt er sich eine neue, schält sie, isst sie und schleudert wieder die Schale in die Ecke. Er nimmt sich eine dritte Banane und schmeißt diese, ohne sie zu schälen, in die Ecke.
    »Hast du schon Chemie?«, fragt er kauend, nachdem er eine vierte Banane zurück in die Kiste gelegt hat.
    Jakob macht sich Sorgen um die Bananen und den Trainer. »Erst ab der siebten. Aber mein Vater kennt sich gut aus mit Chemie.«
    »Kein Wort zu deinem Vater, kein Wort zu überhaupt irgendwem«, sagt der Trainer, noch immer kauend. Er sammelt die Abfälle ein.
    »Kapiert«, sagt Jakob und denkt an Leo, mit der er Worte gewechselt hat, die er sonst für sich behält.
    »An Dobrand wirst du dich nicht mehr erinnern«, sagt der Trainer und kämmt sich. »Der ging gerade, als ihr

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