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Das halbe Haus: Roman (German Edition)

Das halbe Haus: Roman (German Edition)

Titel: Das halbe Haus: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Cynybulk
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seine Weite in Fuß und Inches wusste, brach er zusammen. Die Beine versagten ihm den Dienst, er weinte und sprach in Zungen. Wenn Götter Geschenke machen, dann liegen Gnade und Grausamkeit dicht beieinander. Zwei Jahre später war Bob Beamons Karriere vorbei.
    »Acht neunzig«, sagt der Trainer, »dafür nehmen manche das Auto.«
    Die Jungen kauen Bananen und trinken Tee. Um zwölf findet die dritte Disziplin statt, der Weitsprung.
    »Kann Dombrowski es nicht schaffen?«, fragt Rüdiger Kößling. »Kann der nicht, wenn er auch mal guten Wind hat und so, den Rekord knacken?«
    »Es ist unwahrscheinlich«, sagt der Trainer, »dass sich die Götter einen Lutz Dombrowski aus Karl-Marx-Stadt ausgucken. Dombrowski ist ein wackerer Mann, Beamon ist als Held geboren.«
    Jakob kaut, und in seinem Kopf denkt es. Wie war das doch gleich, als er letztes Jahr zum ersten Mal über fünf Meter sprang? Er war ganz bei sich, und ihm war sonnenklar, dass er sich erheben würde. Ein Klopfen stört seine Gedanken, stört die Gedanken aller.
    Der Trainer ruft: »Herein, wenn’s kein Schneider ist.«
    Es ist kein Schneider. Es ist ein Mann mit dunklen Locken und blauen Augen. »Darf ich mal eben kurz stören«, sagt der Mann, »ich muss meinem Sohnemann was Wichtiges geben.« Er hält ein paar Adidas-Spikes aus blauem Wildleder in die Höhe, mit drei weißen gezackten Streifen, Größe 37 ½, nach Ostmaß eine 25. »Von Omi«, sagt der Mann lächelnd. »Kamen vorhin mit der Post.«
    Das, denkt Jakob und nimmt die Spikes, stellt alles Peinliche in den Schatten.
    Schlag zwölf steht der Vater auf Höhe der Weitsprunggrube und zeigt dem Sohnemann an, wie viel er übergetreten ist oder verschenkt hat. Er reckt die Daumen und das Kinn, er zwinkert und ballt die Faust. Es soll den Sohnemann aufmuntern, der noch nicht klarkommt mit den nagelneuen Westschuhen. Wegen der Schuhe, des hampelnden Vaters und dessen affiger Lady schmort er in der prallen Sonne der Peinlichkeit, weshalb er schon einen ganz roten Kopf hat.
    Die Lady steckt in einem Papageienkleid, das nur von einer goldenen Kette, die um ihren Hals läuft, gehalten wird. Sie trägt eine große Sonnenbrille und einen breiten weißen Hut, den ihr der Wind streitig macht. Sie greift nach dem Hut, ihre Achseln sind rasiert, und weil der Wind ihren Hut nicht bekommt, tut er es dem Vater nach und umfasst ihre Taille. Zum Geburtstag hat sie dem Vater einen Schlüssel aus Pappmaché geschenkt.
    Drei Schritte abseits lehnt Leo am Geländer, einen Korb Erdbeeren zu ihren Füßen. Auch sie hat eine Sonnenbrille im Gesicht, eine übergroße. Ab und zu steckt sie sich eine Erdbeere in den Mund.
    »Kleiner Muck, du bist dranne«, sagt Kupfer, der eine Serie von Fünfern hingelegt hat und im zweiten Versuch fünf einunddreißig gesprungen ist. Einen Fuß weiter als Jakob, wodurch die zwei gewonnenen Zehntel aus dem Hürdenlauf wieder futsch sind. »Zeig mal deinem Liebchen, was du drauf hast. Oder willste deine Pantöffelchen schonen?«
    »Die Einundzwanzig«, ruft ein Kampfrichter am Ende des Anlaufs und hebt das weiße Fähnchen. Sofort schnappt sich der Wind den Stoff und spannt ihn. Es ist ein neuer Wind, ein Rückenwind. Jakob sieht zum Trainer, und der Trainer sieht zu ihm. Manchmal liegt etwas in der Luft, das man nur erkennen und dann annehmen muss. Jakob zieht seine Anlaufmarkierung zwei Handbreit nach hinten. Der Mann mit Strohhut und die dünne Frau schauen ihn an, sein Vater schaut ihn an, die Lady, sein Trainer, Triebe, Kößling, Smoktun, Krüger und René Kupfer schauen ihn an. Nicht zu vergessen Leo, als Einzige nicht zu vergessen. Endlich sagt sie seinen Kampfnamen. Hätte sie auch mal früher machen können.
    Er steht ruhig am Anlauf und neigt seinen Kopf. Jemand legt ihm die Hand aufs Haar, der neue Wind. Dann läuft er los, und sein erster Schritt ist pure Energie. Seine Beine greifen aus, die Schuhe sind jetzt richtig, er tritt kürzer und sammelt Kraft für den Absprung, der sich im Stemmschritt vollzieht, und dann ist er in der Luft, so wie Beamon, sei Amon, und er muss gar nichts mehr machen in der Luft, rein gar nichts.
    Er findet sich in der Grube wieder, sandtriefend. Sein Gehör ist fort, er verlässt die Grube. Ein Kampfrichter kniet sich vor den Balken und studiert das Plastilin. Endlich hebt er die weiße Flagge. Ein anderer Kampfrichter steigt in die Grube und hält den glänzenden Anfang eines Maßbandes an seinen Abdruck. Sein Abdruck hat die Form von Afrika, was

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