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Das halbe Haus: Roman (German Edition)

Das halbe Haus: Roman (German Edition)

Titel: Das halbe Haus: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Cynybulk
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sitzt nebenan auf dem Klo und hält die Luft an. Er zieht die Hose hoch und nicht ab und schleicht zum Türspalt. Der eine Mann ist sein Trainer, der andere der Fremde mit dem Strohhut.
    »Dein Geraune, spar es dir, Herr Sokrates. Mit diesem Gerede verdrehst du die Kinder«, sagt der Fremde.
    »Ich verdrehe die Kinder. Ich sage ihnen, was sie können, ich stärke ihre eigenen Anlagen, und zwar nur verbal, sodass sie das ihnen Mögliche erreichen«, sagt der Trainer.
    »Egoisten, du erziehst sie zu Egoisten. Solche brauchen wir nicht in unserem Land. Wir brauchen gesunde junge Menschen mit einer gesunden Haltung.«
    »Ich erziehe sie zu Individualisten. Wettkämpfer sind immer zuerst Individualisten. Das hast du nie so ganz verstanden.«
    »Jetzt kommst du wieder mit der alten Leier. Ist doch allseits bekannt, was für ein toller Hecht du warst, ich kenne doch deine Rekorde.«
    »Das ist gut, dass du meine Rekorde kennst. Rede ein bisschen darüber, erzähle es den Leuten hier und da, weil nachlesen können sie es ja nicht mehr, wie du gut weißt.«
    »Dass du nicht verstehen willst, dass ich damals nicht anders handeln konnte, dass mir die Hände gefesselt waren. Dass du immer wieder darauf herumreiten musst.«
    »Vergiss es, ich hab meinen Frieden gemacht. Ich will nur nicht, dass ihr die Kinder verderbt. Schau ihn dir doch an, deinen Kupfer. Er ist ein Monster.«
    »Er ist kein Monster.«
    »Ich seh doch, dass er bekommt. Von achtundfünfzig auf siebzig, mein lieber Scholli! Mit zwölf!«
    »Wir haben ihm nur geholfen, über sich hinauszuwachsen.«
    »Er ist euer Versuchsballon. Doch in ein, zwei Jahren, wenn die heiße Luft raus ist, wird er eine Lusche sein. Ein Wrack.«
    »Wir haben die besten Ärzte. Woher nimmst du nur deine Arroganz.«
    »Er ist aufgeblasen und weinerlich, und ihr pfuscht an ihm rum. Man dürfte euch gar keine Kinder mehr überlassen.«
    »Aber dann würde ja auch deine schöne Kopfprämie wegfallen, lieber Bruno. Seit Jahren führst du uns die meisten zu, und ich muss sagen, es sind nicht die Schlechtesten.«
    »Lasst die Pfoten von dem Zeug. Denk an Gierke, denk an Dobrand.«
    »Gierke war schizoid und Dobrand asozial. Kein Wunder, er kam ja aus deiner Schmiede.«
    »Mensch, Kronow, was bist du selbstgerecht geworden.«
    »Ich habe nichts gegen dich, Bruno. Das musst du mir glauben.«
    »Du müsstest nicht auf die Kupfers setzen, du müsstest solche wie den Friedrich nehmen.«
    »Was soll denn an dem besonders sein? Er ist eitel, verstellt sich und macht nur das Nötigste, das wirst du doch nicht abstreiten können. Du kannst ihn doch genauso gut lesen wie ich.«
    »Er hat nur den Sport. Kann sich reinhängen, hat es hier und hier. Er ist einer von den –«
    Jakob hält die Luft an. Er hat den Schluss des Satzes nicht verstanden, und er wüsste zu gern, worauf der Trainer gedeutet hat, was er mit »hier und hier« meint: Den linken und den rechten Oberarm? Den Kopf und das Herz? Den Arsch in der Hose und die Eier dazu?
    »Er hat nicht nur den Sport«, sagt der Mann, der Gustav Kronow heißt. »Er hat einen Vater, der rübermachen will, und er hat eine Großmutter, die schon rübergemacht ist. Die ganze Sippe ist westgeil. Schau ihn dir an mit seiner Uhr und seinen Bourgeoisie-Spikes.«
    »Diese Bourgeoisie-Spikes trägt auch unsere Nationalmannschaft.«
    »Er kann Sport machen, so viel er will, nur nicht bei uns.«
    »Wenn ihr so weitermacht, dann wär das allemal gesünder. Aber du kannst es dir nicht leisten, den Zweitplatzierten nicht zu nehmen.«
    »Nach den Achthundert wird er nicht mal mehr Zweiter, sondern weit abgeschlagen sein. Wenn ich mir so seine Historie anschaue und seine Natur.«
    Der Trainer senkt nicht nur den Kopf, sondern auch die Stimme. Jakob versteht nicht, was er erwidert. In seiner Brust tritt ein Pferd, in seinen Ohren brandet ein Meer. Der Trainer spricht lange und leise, er spricht über ihn, Jakob Friedrich, Altersklasse zwölf, Verkehrssportgemeinschaft Süd, Startnummer 21, wohnhaft in der Regenstraße 27, geboren am 10. November 1969, am selben Tag wie Martin Luther (Reformator), William Hogarth (Maler), Michail Kalaschnikow (Waffenkonstrukteur), Hedwig Bollhagen (die mit den Tassen). Er selbst ist eine trübe Tasse, und sein Trainer zeigt Kronow womöglich gerade den verborgenen Grund dieser Tasse, erklärt ihm, was es mit diesem Jungen auf sich hat, was das für einer ist, warum der gerade richtig oder vielleicht doch nicht richtig ist, ohne dass er es

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