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Das halbe Haus: Roman (German Edition)

Das halbe Haus: Roman (German Edition)

Titel: Das halbe Haus: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Cynybulk
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Schafe hat und der andere die Webstühle, dann ist es doch im Sinne des Schicksals, wenn sich beider Kinder auf dem Markt von Weißenburg zufällig begegnen.
    Und alles wäre gut gegangen, hätte es neben dem Schicksal nicht den Brauch gegeben. Der nämlich scherte sich nicht um das ungeübte Herz der Siegenthaler Katja, der mutete ihr mindestens ein Jahr Verlobungszeit zu. Dabei war die Aussteuer längst zusammengetragen, der Bräter mit dem Feuervogel war das letzte Stück gewesen. Worauf sollten sie warten? Sie war siebzehn und eine Frau, er war zweiundzwanzig und ein Mann. Ein ganzes Jahr, das war eine Ewigkeit, obwohl sie zeitlebens zusammen sein wollten. Aber was ist der stete Tag gegen die Jüngste Nacht, was das Bohnenkraut gegen die Mohnblüte, was eine Decke aus Lehm gegen den Samt- und Sternenhimmel im März, was, ihr Sterblichen, ist ein Ehebett gegen ein Lager aus Stroh, was?
    Zur Hochzeit kamen nur die engsten Anverwandten. Die Brüder, die Eltern und die Schwester und nur noch ihr Döde und ihre Doda. Jeder, welcher der Siegenthaler Katja und dem Sauer Waldemar im zweiten oder dritten Grade nahestand, blieb fern. An einem Mittwochabend fand die Vermählung im Pfarrhaus statt und nicht an einem Donnerstag in der Kirche mit Glockengeläut zum Einzug und auch zum Auszug. Katja trug ein langes Kleid, weiß wohl, aber ohne Schleier. Statt des Schleiers steckte ein Blumenkranz in ihrem Haar, und ein Blumengürtel lag um ihre Hüfte, man sah ja den Schlamassel schon. Tati trug weiße Handschuhe, eine weiße Fliege und große rote Ohren zum schwarzen Anzug aus feinstem Garn. Lächeln taten sie beide nicht vor dem Pfarrhaus von Hoffnungstal oder Kulm oder Neu-Elft. Es war früh im Herbst und so trocken, dass einem nachts der Regen in den Ohren rauschte.
    Bevor Pastor Immanuel Busse das Aufgebot verkünden und die Trauung vornehmen konnte, hatte er die Verlobten zur Prüfung ins Pfarrhaus bestellt. Vor ihm lagen die Schnupftabakdose, ein Blech warmen Zwetschgenkuchens (Zimt und Butterstreusel) und der Große und der Kleine Katechismus des Martin Luther. Eine Karaffe süßen Weins hatte die Siegenthaler Katja, die berühmt war für ihre Nüchternheit, auch mitgebracht. Die Augen des Pastors wanderten von der Schnupftabakdose zum Wein, zum Kuchenblech und zurück. »Und führe uns nicht in Versuchung«, sagte Immanuel Busse endlich. »Was ist das?«
    »Wir bitten in diesem Gebet«, antwortete Katja mit fester Stimme, »dass uns Gott wolle behüten und erhalten, auf dass uns der Teufel, die Welt und unser Fleisch«, sagte sie, »nicht betrüge und verführe in Missglauben, Verzweiflung und … andere große Schande und Laster.«
    »Was heißt: nicht in Versuchung führen?«, fragte Immanuel Busse und sah den Sauer Waldemar an, dessen schöne große Ohren dem Sonnenuntergang huldigten.
    »Wenn er«, antwortete Katja an seiner statt und legte ihre linke Hand auf die Linke ihres Bräutigams, dort trugen sie die Verlobungsringe, »wenn er uns Kraft und Stärke zu widerstehen gibt, doch so, dass die Anfechtung nicht weggenommen noch aufgehoben wird. Denn Versuchung und Reizung kann niemand umgehen, weil wir im Fleisch leben …«
    »… und den Teufel um uns haben«, fuhr Busse fort, die Stimme und den Kinnbart hebend. »Und wird nichts anderes draus: Wir müssen Anfechtung leiden, ja drinstecken. Aber da bitten wir drum«, donnerte er und riss einen Kuchenfetzen vom Blech, »dass wir nicht hineinfallen und darin ersaufen.« Eine Zwetschge am Fallen hindernd, biss er zu. »Nicht darin ersaufen.« Er schenkte sich Wein ein und trank.
    Die Wangen rot, bleich das Kinn, sprach Katja, dass der Waldemar und sie nur zu zweit gewesen seien. An einen Dritten könne sie sich beim besten Willen nicht erinnern. Einen Pferdefüßigen gar hätten sie nicht um sich gehabt, zu keiner Zeit. Weder in der ersten Nacht noch in der zweiten, und auch in den darauffolgenden Nächten seien sie doch ziemlich unter sich geblieben.
    Um ihm den Husten auszutreiben, schlug der Sauer Waldemar dem Pastor mehrmals auf den Rücken. Tränenden Auges nahm Busse drei Prisen Tabak und schnäuzte sich in ein Laken von Taschentuch. »Und was nun«, fragte er kurz atmend, »soll ein Hausvater die Seinen lehren? Das sage mir der Bräutigam.«
    Endlich legte der Sohn des Tuchfabrikanten und Färbers Albert Sauer, der immerhin die Handelsschule in Tarutino besucht hatte und dessen Haar wie Schellack glänzte, die Ohren an und sagte: »Das Benedicite und das

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