Das halbe Haus: Roman (German Edition)
Gratias.«
»Kann er das Benedicite und das Gratias aufsagen?«, fragte Busse.
»Ja«, antwortete der Sauer Waldemar.
»Dann sage er es auf«, verlangte der Pastor, und der Tuch-Sauer sagte beides auf. Er sprach von der Gnade des Herrn, der Mensch und Vieh Speise verdankten.
»Kann er«, sagte der Pastor Busse, »der Siegenthaler-Tochter und auch dem Vieh Speise geben?«
»Der Herr kann alles«, sagte der Sauer Waldemar.
Vergeblich suchte Busse im Gesicht des Sauer nach Hochmut, Ironie und Dummheit. Er fand nur jenen Ausdruck von brutaler Zärtlichkeit, wie er ihn häufig sah bei den Männern dieses Landes, das Entbehrung und Ertrag war, Steppe und Schwarzerde. Männer wie er streichelten das Vieh und züchtigten die Tagelöhner wie die Kinder. Ihr Glaube war Gehorsam, keine Liebe. Jeder bestellte seine Scholle, betrieb sein Geschäft, nichts hielt die Kolonisten im Geiste zusammen, außer das Überleben, das materielle Streben und eine vage Vorstellung vom Deutschsein, auch wenn sie auf den Märkten Mischa, Katja, Pjotr hießen. Und deshalb war auch seine Frage hinfällig, er stellte sie trotzdem genauer: »Ob du deine Braut, wenn sie dann deine Frau ist, ernähren kannst und auch das Vieh.«
»Wir wollen selber gründen«, sagte der Sauer. »Hinten in Oloneschti, nah am Dnister. Starke Hände haben wir wohl, Brüder und …«
»… eine gute Mitgift«, sagte Katja. Sie hatte hohe Wangenknochen und glich den Mariendisteln. Im Frühjahr war der Dnister ein lehmschwerer Strom, in dem ersoffenes Vieh ins Schwarze Meer trieb.
»Ich werde pflanzen hundert Obstbäume«, sagte der Sauer Waldemar, »Zwetschge und Appel. Korn und Welschkorn wird es geben.«
»Und Rosen«, sagte Katja.
»Rosen auch«, sagte Waldemar.
»Und was sagen eure Eltern dazu? Ist es nicht vorgesehen, dass er einmal die Tuchfabrik übernimmt?«
»Wir haben unsere eigenen Pläne«, sagte die Siegenthaler Katja.
Gegen diesen Trieb, diesen Eigensinn, dachte der Pastor Busse zufrieden, bin ich machtlos. Er hob sein Glas und trank vom süßen Wein. Dann bot er die Siegenthaler und den Sauer an drei aufeinanderfolgenden Sonntagen auf, ins Knarren und Hüsteln, ins Hütekneten und Händeringen, ins Frömmeln und Blitzsaubertun hinein. Die Siegenthaler trug ein Kind unterm Herzen, und die Ehe war ein Sakrament.
★
Im Nebel ist sie losgefahren, in aller Herrgottsfrüh, wie man dort sagt, wo sie losgefahren ist. Über unbedeutende Anhöhen ist ihr Zug gerollt, durch Tunnel von kurzer Schwärze, an Dörfern vorbei, in denen zu dieser Jahreszeit Zwiebelkuchen und Gerupfter serviert werden. Die Kirchen und Scheunen sind geschmückt mit den Früchten des Feldes, selbst das Vieh wird zum Erntedank angeputzt. In aller Herrgottsfrüh jedoch schwamm alles in Milch, nur Wetterhähne und Turmkreuze sind kurz aufgetaucht, und dann ist ihr wieder schwarz vor Augen geworden, bis das Licht im Abteil ansprang. Im dunklen Spiegel des Abteilfensters saß eine Dame mit Hut.
In der Zeitung hat sie gelesen, dass man den Kanzler gestürzt hat. Die Gelben waren gar nicht mal unzufrieden mit dem Kanzler, sie waren unzufrieden mit seiner Partei, den Roten. Sie haben mehr Selbstverantwortung und Selbstbestimmung gefordert, also mehr Freiheit. Deshalb sind sie zu den Schwarzen übergelaufen, die nun ein krisengeschütteltes Land übernehmen müssen. Millionen Arbeitslose, Milliarden Schulden. In Itz hat sie noch nicht vorbeigeschaut, die Krise, in den schmucken Dörfern auch nicht, und was der schwarze Kanzler besser machen wird als der rote, das weiß kein Mensch. Aber er schwört es schon mal, so wahr ihm Gott helfe. Seine Kraft will er dem Wohle des deutschen Volkes widmen, na hoffentlich reicht sie über die Mauer hinweg, die Kraft.
Ihr Schlaf ist Zorn. Dann steht der Zug, wie er zeitlebens steht, und die Sonne scheint.
Die Grenzer sind höflich. Lange vor der Reise hat sie alles sorgfältig ausgefüllt und kann mustergültige Dokumente vorzeigen, das Visum und die Erklärung über mitgeführte Gegenstände und Geschenke, einen Wert von tausend Ostmark nicht überschreitend, darunter keine Druckerzeugnisse, außer natürlich der Zeitung, die sie sofort übergibt. Mit gewellter Stirn überfliegen die Grenzer die gestrigen Fußballergebnisse und die Glückszahlen des heutigen Oktobertages. Und Suzi Quatro spielt nicht mehr Gitarre, sondern nur noch mit ihrem Baby, und täglich kann eine Seiko-Uhr gewonnen werden, und in Berlin sind eintausend Lammpelzmäntel zu
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