Das Halsband der Koenigin 2
Menschen gefaßt hatte, dem die Natur die Secunden abzählt, übergoß er das Gesicht des Verwundeten mit frischem Wasser und legte ihn auf eine solche Art in ein Bett, daß er sich nicht tödtete, wenn er sich heftig bewegte oder fiel. Er schloß die Läden mit einem Vorhängeschloß, drehte den Schlüssel der Zimmerthüre zweimal um, steckte diesen Schlüssel in die Tasche und begab sich zu der Königin, nachdem er sich, außen horchend, versichert hatte, daß keiner von den Schreien Olivier's vernommen oder verstanden werden konnte.
Es versteht sich von selbst, daß zu größerer Vorsicht der Auvergnat mit dem Kranken eingeschlossen war.
Er traf gerade vor dieser Thüre Frau von Misery, welche die Königin abgeschickt hatte, um sich nach dem Verwundeten zu erkundigen.
Sie wollte durchaus hinein.
»Kommen Sie, kommen Sie, Madame,« sagte der Doctor, »ich gehe weg.«
»Aber, Doctor, die Königin wartet.«
»Ich gehe zur Königin, Madame.«
»Die Königin wünscht ...«
»Die Königin wird so viel erfahren, als sie zu wissen wünscht; das sage ich Ihnen, Madame. Gehen wir.«
Und er nöthigte die Kammerfrau Marie Antoinette's zu laufen, um zu gleicher Zeit mit ihm an Ort und Stelle zu kommen.
L.
Aegri Somnia.
Die Königin wartete auf die Antwort der Frau von Misery; sie erwartete den Doctor nicht.
Dieser trat mit seiner gewöhnlichen Vertraulichkeit ein.
»Madame,« sprach er laut, »bei dem Kranken, für den sich der König und Eure Majestät interessiren, geht es so gut, als es geben kann, wenn man das Fieber hat.«
Die Königin kannte den Doctor; sie wußte, wie er die Leute haßte, die, wie er sagte, volle Schreie ausstießen, wenn sie halbe Leiden empfinden.
Sie bildete sich ein, Herr von Charny habe seine Lage ein wenig übeltrieben» Die starken Frauen sind geneigt, die starken Männer schwach zu finden.
»Der Verwundete,« sagte sie, »ist ein Verwundeter zum Lachen?«
»He! he!« machte der Doctor.
»Eine Schramme ...«
»Nein, nein, Madame; aber Schramme oder Wunde, ich weiß nur, daß er das Fieber hat.«
»Armer Junge! Ein ziemlich starkes Fieber?«
»Ein furchtbares Fieber.«
»Bah!« versetzte die Königin erschrocken; »ich dachte nicht, daß so ... auf der Stelle ... das Fieber ...«
Der Doctor schaute einen Augenblick die Königin an.
»Es gibt Fieber und Fieber,« sagte er.
»Mein lieber Louis, Sie erschrecken mich. Sie, der Sie gewöhnlich so beruhigend sind ... ich weiß nicht, was Sie heute Abend haben.«
»Nichts Außerordentliches.«
»Ah! ah! Sie drehen sich um, Sie schauen nach rechts und nach links, Sie sehen aus wie ein Mensch, der mir gern in großes Geheimniß anvertrauen möchte.«
»Ei! wer sagt nein?«
»Ah! nicht wahr? Ein Geheimnis, das Fieber betreffend?«
»Ja.«
»Das Fieber des Herrn von Charny?«
»Ja wohl.«
»Und Sie kommen dieses Geheimnisses wegen zu mir?«
»Ja wohl.«
»Geschwind zur Sache! Sie wissen, daß ich neugierig bin. Fangen wir beim Anfang an.«
»Nicht wahr, wie Petit-Jean?«
»Ja, mein lieber Doctor.«
»Wohl! Madame ...«
»Ich warte, Doctor.«
»Nein, ich warte.«
»Worauf?«
»Daß Sie mich befragen, Madame. Ich erzähle nicht gut; wenn man jedoch Fragen an mich richtet, so antworte ich wie ein Buch.«
»Gut! ich habe Sie gefragt, wie es mit dem Fieber des Herrn von Charny gehe.«
»Nein, das ist schlecht begonnen. Fragen Sie mich zuerst, wie es komme, daß Herr von Charny sich bei mir in einem meiner zwei kleinen Cabinete befinde, statt in der Gallerie oder auf dem Posten des Officiers der Leibwachen zu sein.«
»Wohl! ich frage Sie das wirklich. Das ist zum Erstaunen.«
»Madame, ich wollte Herrn von Charny nicht in dieser Gallerie, auf diesem Posten lassen, weil Herr von Charny kein gewöhnlicher Fieberkranker ist.«
Die Königin machte eine Geberde der Verwunderung.
»Was wollen Sie damit sagen?«
»Herr von Charny delirirt sogleich, wenn er das Fieber hat.«
»Oh!« machte die Königin, die Hände faltend.
»Und,« fuhr Louis fort, indem er sich der Königin näherte, »und wenn er delirirt, der arme Junge, sagt er eine Menge Sachen von zu delicater Natur, als daß die Herren Garden des Königs oder irgend Jemand sie anhören dürften.«
»Doctor!«
»Ah! Sie mußten mich nicht befragen, wenn ich Ihnen nicht antworten sollte.«
»Sprechen Sie immerhin, mein lieber Doctor.«
Hiebei nahm die Königin die Hand des guten Gelehrten.
»Dieser junge Mensch ist vielleicht ein Gottesleugner, und in seinem
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