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Das Halsband des Leoparden

Das Halsband des Leoparden

Titel: Das Halsband des Leoparden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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länger, desto besser.«
    Obwohl Fandorin gut Französisch spricht, redete er mit dem Doktor Englisch, damit ich alles verstand.
    Lebrun-Sensei fragte, ob es gelungen sei, die Bombe zu finden.
    Mein Herr erwiderte: Nein, noch nicht.
    Lebrun-Sensei fragte, ob die Gefahr groß sei, dass das Uhrwerk vor der Zeit ausgelöst würde.
    Mein Herr antwortete, das sei wenig wahrscheinlich.
    Lebrun-Sensei wollte noch etwas fragen, doch mein Herr kam ihm zuvor.
    »Sagen Sie, wo hat Sie der Anruf von Des Essarts erreicht?«
    Der Arzt überlegte eine Weile, als müsse er sich erinnern, und sagte dann: »In der Klinik. Das war … warten Sie, ich hatte gerade eine Bandscheibenoperation beendet, ein wirklich hochinteressanter Fall … Ja, das war in der sechsten Nachmittagsstunde. Ich erteilte dem Vater des Mädchens die nötigen Anweisungen und eilte zum Bahnhof.«
    »Hat Monsieur Des Essarts persönlich mit Ihnen gesprochen?«
    Die Frage verwirrte den Doktor.
    »Aber ja, wer denn sonst?«
    Mein Herr warf mir einen Blick zu, und ich begriff, dass nun ich an der Reihe war.
    »Verehrter Doktor«, wandte ich mich mit meiner süßesten Stimme an den Franzosen, »ich möchte Ihnen von den schlimmen Leiden berichten, die mir mein rechter Ischiasnerv bereitet. Das dürfte Sie als einen Mann, der sein Leben der Heilung von Krankheiten geweiht hat, sehr interessieren. Einen Augenblick, ich zeige Ihnen die betroffene Stelle.«
    Mein Herr war bereits verschwunden – er war in den schmalen Gang geschlüpft, um mit dem Fräulein allein zu reden.
    Lebrun wollte ihm folgen und knurrte, er könne mich jetzt nicht untersuchen, doch ich packte ihn fest am Arm und bat ihn mit allem gebotenen Respekt: »Es wird Sie nicht viel Zeit kosten. Sie sollen essich nur anschauen und abtasten. Ich sage Ihnen, wo es weh tut und wo nicht.«
    Er versuchte noch einmal, sich zu befreien, begriff aber, dass er mich so leicht nicht loswurde, und sagte seufzend: »Na schön, ziehen Sie die Hose aus.«
    Da beging ich einen ärgerlichen Fehler: Ich ließ seinen Arm los. Aber andererseits – wie hätte ich sonst meinen Gürtel öffnen sollen?
    Der Doktor murmelte: »Ach, verschieben wir das lieber auf später«, und nutzte seine Bewegungsfreiheit aus.
    Er schlüpfte ebenfalls in den Gang.
    Mir blieb nichts anderes übrig, als ihm zu folgen, was nicht so einfach war, denn der Gang ist furchtbar schmal, und meine Hose war halb heruntergelassen.
    Trotzdem stürmte ich voran und gelangte glücklicher auf die andere Seite als beim letzten Mal, obgleich ich mir dabei das Hemd zerriss.
    »Verehrter Doktor, wenn es Ihnen keine Mühe macht, würde ich Ihre gelehrte Meinung gern jetzt gleich hören«, sagte ich unbekümmert und zog Lebrun fort von dem Mädchen.
    Sie folgte mir mit den Augen, doch der Gipskragen verhinderte, dass sie mich unterhalb der Gürtellinie sah, sodass der Anstand keinen Schaden nahm.
    Ich hatte eine schwierige Aufgabe zu bewältigen: Ich musste ununterbrochen schwatzen, damit der Doktor nicht hörte, worüber Fandorin-Dono mit dem Mädchen sprach, und durfte mir zugleich kein Wort des Gesprächs entgehen lassen – denn wie sollte ich sonst meine Geschichte schreiben?
    Mein fester Wille und mein gutes Gehör ließen mich diese Aufgabe meistern.
    Mein Herr fragte: »Hat Ihr Vater selbst mit Mr. Lebrun telefoniert?«
    »Ja.«
    »Woher wissen Sie das? Der Apparat steht doch unten.«
    Sie dachte nach.
    »Papa hat geweint und wollte in den Turm kommen, schaffte es aber nicht. Marianna (das ist das Stubenmädchen) und Papas Kammerdiener waren bei mir. Ich hatte schreckliche Schmerzen, aber ich bemühte mich, möglichst leise zu stöhnen. Um Papa nicht noch mehr zu erschrecken.«
    »Hier? Hier?«, fragte indessen ungeduldig der Arzt, wobei er ziemlich grob mein Gesäß abtastete.
    Ich schüttelte nur den Kopf, während ich ganz Ohr war.
    »… Dann hörte ich Bosquot. Er sagte laut: ›Kommen Sie bitte herunter, Monsieur. Doktor Lebrun ist am Apparat.‹«
    »Au, ja, da!«, rief ich dem Arzt zu.
    »Sie haben einen merkwürdigen Ischiasnerv. An dieser Stelle sitzen nur Muskeln und Fett!«
    Er stieß mich unsanft von sich und rief meinem Herrn gereizt zu: »Ich habe Sie doch gebeten! Die Erinnerung an den Sturz regt die Patientin auf, und sie braucht absolute seelische Ruhe!«
    Das zufriedene Gesicht meines Herrn sagte mir: Er hatte alles erfahren, was er wollte. Wir entschuldigten uns bei dem Doktor und verließen den Turm. Danach führten wir ein wichtiges

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