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Das Halsband des Leoparden

Das Halsband des Leoparden

Titel: Das Halsband des Leoparden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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irgendjemandes Handlungen zu kritisieren. Es gab in diesem Augenblick auf der ganzen Welt wohl kaum einen Menschen, der von sich selbst geringer dachte als ich.
    Darum nickte ich nur träge und wollte mich zurückziehen.
    »Dokuta Watson«, sagte der Asiat mit einem strahlenden Lächeln. »Wir haben Zeit. Ich möchte Flagen stellen über Litelatur. Darf ich?«
    Er nahm meinen Arm und führte mich ins Speisezimmer. Ich folgte ihm willenlos und beantwortete eine geschlagene Stunde lang diverse dumme Fragen zu meiner Schriftstellerei – und das alles unter dem Ticken der Höllenmaschine! Eine absurdere Szene ist kaum denkbar. Ich hatte das Gefühl, die Welt sei verrückt geworden und ich mit ihr.
    Doch dann schlug die Uhr auf dem Kamin achtmal, und Holmes stand auf der Schwelle.
    »Wie geht es Ihnen, Watson?«, fragte er, den Japaner neugierig musternd. »Ich brauche wieder Ihre Hilfe. Natürlich nur, wenn Ihr Befinden es erlaubt.«
    Ich sprang so heftig vom Tisch auf, dass ich den Stuhl umwarf. Ich fühlte mich, wie sich wohl ein Verurteilter fühlen mag, den man plötzlich begnadigt.
    »Aber natürlich! Es geht mir großartig! Ich schwöre Ihnen, Holmes, ich war noch nie so voller Energie!«, versicherte ich stammelnd, während ich mit ihm durch den Flur lief. »Erzählen Sie, wo waren Sie und was haben Sie die ganze Zeit gemacht? Sind Sie mit den Ermittlungen vorangekommen?«
    »Selbstverständlich«, erwiderte er gelassen und reichte mir ein Stück Papier. »Ich erzähle Ihnen gleich alles.«
    Ich wollte ihn fragen, was das für ein Papier sei, bekam jedoch einen Stoß in die Rippen und verschluckte mich. Ich entfaltete den Zettel. Darauf stand: »Achten Sie auf meine Gesten, nicht auf meine Worte.«

    Ich blieb nicht lange allein im Speisezimmer. Nachdem sich Watson-Sensei und Holmes entfernt hatten, kam mein Herr zurück. Er sagte: »Alles in Ordnung« und wärmte seine kalten Hände vorm Kaminfeuer.
    Ich schenkte ihm Wein ein, damit er sich auch von innen aufwärmen konnte.
    »Nun, was denkst du über diesen Fall?«, fragte Fandorin-Dono.
    Da ich diese Frage erwartet hatte, antwortete ich darauf ausführlich.
    »Eine sehr unschöne Geschichte, Herr. Sie gefällt mir ganz und gar nicht. Sherlock Holmes wird dem Hausherrn nicht gestatten, das Geld zu zahlen. Die Ehre erlaubt dem großen Detektiv nicht, seine Niederlage einzugestehen: Holmes wird das Schloss nicht verlassen, und das bedeutet, dass Lupin sein Lösegeld nicht bekommt. Also wird Punkt Mitternacht das Haus in die Luft fliegen.«
    Der Herr seufzte und nickte zustimmend, was mich ermunterte fortzufahren.
    »Desu-San darf nicht aus dem Turm getragen werden, das wäre ihr Untergang. Wir beide können das arme Mädchen nicht im Stich lassen, also werden auch wir das neue Jahr unter diesem Dach begrüßen müssen. Sonst würden wir eine Schande auf uns laden, die unser ganzes restliches Leben vergiften würde.«
    Er nickte erneut. Nun konnte ich zu den Schlussfolgerungen kommen.
    »Wir haben also nur einen Ausweg. In den noch verbleibenden drei Stunden und siebenundvierzig Minuten müssen wir die Geheimschrift enträtseln und die Bombe finden. Sonst fliegen wir als Gefangene unserer Ehre in die Luft und werden das zwanzigste Jahrhundert nicht erleben. Und das wäre sehr schade. Dann würden wir nie erfahren, wer von uns beiden recht hat.«
    In letzter Zeit streiten wir oft darüber, wie das Leben im zwanzigsten Jahrhundert sein wird. Mein Herr ist optimistisch gestimmt, ich dagegen erwarte nichts Gutes. Ja, die Menschen werden lernen, sich zu Lande und zu Wasser schneller fortzubewegen, vielleicht sogar durch die Luft fliegen. Doch all diese Veränderungen berühren nur die Materie. Der Geist aber verharrt auf seiner Entwicklungsstufe,und was nützen dann die technischen Neuerungen? Sie werden wenig Gutes und sehr viel Böses bringen, denn es ist gefährlich, einem unvernünftigen Kind eine Waffe anzuvertrauen. Aber darüber werde ich wohl ein anderes Buch schreiben. Man darf nicht von der eigentlichen Geschichte ablenken.
    Nach meiner tadellos logischen Rede fragte ich: »Wir haben Vorsichtsmaßnahmen getroffen, um die Bewegungsfreiheit des Verbrechers einzuschränken. Aber wir können nicht einfach nur warten, das würde den Tod aller hier bedeuten. Wie gedenken Sie vorzugehen, Herr? Ich bezweifle nicht, dass Sie sich bereits alles überlegt haben. Haben Sie herausgefunden, was die Zeichen 24b, 25b, 18n, 24b, 25b, 23b, 24b bedeuten?«
    »Ich gestehe,

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