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Das Halsband des Leoparden

Das Halsband des Leoparden

Titel: Das Halsband des Leoparden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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musste ihn kurz anherrschen, denn Strenge ist das beste Mittel gegen Hysterie.
    »Beruhigen Sie sich, sofort! Reden Sie klar und deutlich! Was ist passiert?«
    Alle im Speisezimmer sahen mich gespannt an.
    »Ja, ja, ich will es versuchen … Als ich auf dem Weg vom Haus zum Pferdestall an der Schlucht vorbeikam, hörte ich Geräusche. Es klang wie Flüstern … Ich sehe vielleicht schlecht, aber mein Gehör ist ausgezeichnet. Doch ich war mir nicht ganz sicher – ich dachte, es sei vielleicht nur der Wind in den Zweigen. Ich bat Bosquot, sich vorsichtig anzuschleichen und zu lauschen … Er ist losgegangen und nicht zurückgekommen … Wenn ihm nun etwas zugestoßen ist?«
    Da Des Essarts stockend redete, konnte ich in den Pausen den anderen rasch wiedergeben, was er sagte.
    »Fragen Sie, wie viele Minuten vergangen sind seit …« setzte Fandorin an, als von der Schlucht her plötzlich zwei Schüsse krachten.
    Ich zuckte zusammen – nicht wegen der Schüsse, sondern weil Des Essarts mir durchdringend ins Ohr schrie. Er hatte die Schüsse ebenfalls gehört.
    »Schnell! Hin!« Holmes rannte wie der Blitz zur Tür.
    Wir alle stürzten ihm nach.
    An der Treppe teilten wir uns.
    »Sie nach links, wir nach rechts!«, rief Holmes.
    Die Idee war klar: Die Schlucht von beiden Seiten zu umstellen.
    Ich bemühte mich, keinen Schritt hinter meinem Freund zurückzubleiben, und riss im Laufen den Revolver aus der Tasche, der sich dabei im Futter verhakte und es zerriss.

    Den Anweisungen von Sherlock Holmes folgend, liefen mein Herr und ich um die Hausecke und blieben stehen.
    Die Engländer, das muss ich ihnen lassen, bewegten sich in der Dunkelheit sehr geschickt: Sie waren nicht zu sehen und zu hören.
    In dieser Sekunde flackerte das gelbe Licht, das durch die Spalte der geschlossenen Fensterläden drang, kurz auf und erlosch – die Elektrizität hatte sich erneut abgeschaltet.
    »Alles läuft wie nach Noten«, flüsterte mein Herr. (Dieser Ausdruck bedeutet, dass der Gang der Ereignisse ganz dem Plan entspricht – wie das Spiel eines Musikanten den aufgezeichneten Noten folgt.)
    Gebückt schlüpften wir ins Haus zurück.
    Ich kann mir vorstellen, wie erstaunt der Leser über unser Verhalten ist! Und das alles deshalb, weil ich absichtlich ein wichtiges Gespräch verschwieg, das mein Herr und ich nach der Unterhaltung mit Lebrun und Eugénie geführt hatten.
    Wie bereits erwähnt, sprachen wir dabei Japanisch.
    »Jetzt ist alles klar«, erklärte Fandorin-Dono mit zufriedenem Gesicht. »Es sah aus, als wäle der Weg dlei Shaku lang, aber er war kürzer als dlei Li.«
    »Sie meinen: Es schien, als wäre der Weg drei Ri 6 lang, aber er war kürzer als drei Shaku 7 «, korrigierte ich ihn und wollte auf Russisch weitersprechen, denn ich kann es kaum mit anhören, wie mein Herr unsere Sprache entstellt.
    Aber er stieß mir den Finger in den Bauch, sodass ich notgedrungen verstummte, denn wenn jemand dir mit aller Kraft einen Finger ins Sonnengeflecht stößt, kannst du weder ein- noch ausatmen.
    »Ich weiß, mein Japanisch hat nachgelassen«, bekannte Fandorin-Dono (ich werde seinen Akzent nicht mehr wiedergeben, denn in Katakana zu schreiben ist zu mühselig), »ich habe sogar Ri und Shaku verwechselt, aber du wirst es ertragen müssen. Ist dir ein hochinteressanter Umstand aufgefallen? Als wir vorhin im Speisezimmer miteinander sprachen, wollten wir zwei Dinge unternehmen: Erstens die Telefonverbindung nach außen benutzen und zweitens Lebrun und Eugénie befragen. Das mit dem Telefon hatte ich auf Russisch gesagt, das mit der Befragung dagegen auf Japanisch. Gleich danach riss die Telefonverbindung ab, und Ersteres wurde unmöglich. Das für die Ermittlungen ebenfalls sehr wichtige Gespräch im Turm jedoch wurde nicht behindert.«
    »Und was bedeutet das?«
    »Jedes unserer Worte wird mitgehört. Der Hausherr sagte doch, sein seliger Vater habe im Schloss allerlei Absonderlichkeiten installiert.Unter anderem offenbar auch ein raffiniertes Abhörsystem. An einem bestimmten Ort im Haus kann man hören, was in den anderen Räumen gesprochen wird – erstens. Lupin hat in Petersburg ein spektakuläres Verbrechen begangen. Das heißt, er versteht vermutlich Russisch – zweitens. Als er begriff, dass meine Telefonate für ihn eine Gefahr bedeuten, beschädigte er die Leitung. Aber Japanisch kann der Gauner offenkundig nicht. Sonst hätte er den Professor gewarnt, dass er mich auf keinen Fall zu dem Mädchen lassen dürfe. Das

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