Das Halsband des Leoparden
sich mit dem Taschentuch die Hand ab.
Dennoch wirkte er nicht niedergeschlagen, sondern eher nachdenklich.
»Na schön, das wäre auch nicht ganz fair gewesen – das letzte Verbrechen des neunzehnten Jahrhunderts mit einer Technik des zwanzigsten Jahrhunderts aufzuklären«, bemerkte er philosophisch. »Gehen wir also auf die altbewährte Weise vor. Aber zunächst sorgen wir für Harmonie.«
Holmes nahm die Geige heraus und überprüfte, ob sie noch heil war. Er nickte und griff nach dem kleinen, aber recht dicken Notenbüchlein, das ebenfalls im Geigenkasten lag, und schlug es aufs Geratewohl auf.
»Hm. Ein Capriccio von Paganini. Die Sache wird also turbulent, aber kurz.«
Er nannte diese Prophezeiung nach Noten den »Grundton der Ermittlungen« und maß dem Ritual große Bedeutung bei.
Er spielte einige schwindelerregend schnelle Staccato-Takte, brach ab und blätterte erneut in der Notensammlung.
»Mein Gott, Holmes! Wie können Sie jetzt an Musik denken!«, sagte ich verzweifelt. »Ich habe alles verdorben! Das werde ich mir nie verzeihen! Lassen Sie sich etwas einfallen! Denken Sie nach! Und lassen Sie Ihre …«
»Psst!«, unterbrach er mich. »Ich denke doch nach, aber Sie stören mich.«
Ich stand auf, den verletzten Arm festhaltend. Auf meiner Stirn schwoll eine beträchtliche Beule, doch die seelischen Qualen waren schlimmer als die physischen.
»He, Watson, Sie sind ja ganz bleich. Ruhen Sie sich eine Weile aus, ich komme einstweilen ohne Ihre Hilfe zurecht … Nein, nein, keine Widerrede!«, unterband er meine kläglichen Proteste.
Ich ließ den Kopf hängen. Mir war klar, dass ich das Vertrauen meines Freundes eingebüßt hatte und dass er die Ermittlungen lieber ohne mich fortführen wollte. Nach dem, was geschehen war, konnte ich ihm das kaum verübeln.
Er ging zurück in den Keller, ich schleppte mich wieder nach oben. Die Tür unserer Nachbarn stand weit offen, Fandorin und Shibata waren weg.
Ich kühlte meinen Arm, strich mir eine Heilsalbe auf die Stirn und legte mich aufs Bett. Ich kann gar nicht sagen, wie niedergeschlagen ich war.
Aber ich blieb höchstens eine Viertelstunde liegen. Auch wenn Holmes einen solchen Assistenten nicht gebrauchen konnte – das Nichtstun war einfach unerträglich.
Ich schlenderte durch den ersten und den zweiten Stock. Die aberwitzige Hoffnung, ich könnte durch ein Wunder, durch einen unglaublichen Zufall eine Spur, wenigstens einen winzigen Hinweis finden, ließ mich erneut die Wände abklopfen. Ich hockte mich sogar auf alle viere und überprüfte, ob das Parkett vielleicht irgendwo locker war, gab dieses sinnlose Unterfangen jedoch bald auf. Plötzlich drang ein seltsames Klopfen an mein Ohr, das von unten kam.
Ich lief hinunter ins Erdgeschoss.
Erneut ein dumpfes Klopfen, begleitet von entferntem Klirren. Ganz in der Nähe, wie aus dem Nebenraum.
Hals über Kopf rannte ich dorthin. Es war das Billardzimmer. Im ersten Augenblick registrierte ich nur, dass sich hier etwasverändert hatte, dann begriff ich, was es war: Zwei der drei Fenster waren vollkommen blind, ich konnte nicht einmal die Umrisse der Bäume draußen erkennen. Ich wollte näher herangehen, um dieses seltsame Phänomen zu ergründen.
Auf einmal knarrte es hinter dem dritten Fenster, das auf den Rasen hinausging. Ich lief hin.
Von draußen schaute Mr. Shibata mich an. Er verbeugte sich leicht und schlug vor meiner Nase den Fensterladen zu. Eisen klirrte, ein Schlüssel wurde umgedreht.
Das war es also! Der Japaner schloss die Fensterläden. Mir fiel ein, dass Fandorin dem Verwalter alle Schlüssel abgenommen hatte. Was hatte der russische Detektiv vor?
Neugierig geworden, wollte ich hinausgehen, doch die Terrassentür war verschlossen. Am nächsten lag der Dienstboteneingang, und ich eilte dorthin, wobei ich entdeckte, dass sämtliche Fenster im Erdgeschoss fest von außen abgeschottet waren.
Auch der Dienstboteneingang ließ sich nicht öffnen. Ich lief zum Haupteingang und traf auf Shibata, der mir den Weg versperrte.
»Bedaule«, sagte er, sich höflich verbeugend. »Es kann niemand mehr lein oder laus. Missa Fandorin macht aus dem Haus eine Flasse.«
»Was?«, fragte ich verblüfft.
»Flasse. Geslossen. Alle Fensta und Türen verslossen. Nur noch ein Hals.« Er zeigte auf den Haupteingang und tat, als trinke er aus einer Flasche. »Wenn Gauner Lupin leinwill, kann nur hie lein.«
Diese Maßnahme erschien mir ziemlich unsinnig, aber ich war nicht in der Stimmung,
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