Das Halsband des Leoparden
Celestianer tragen so komische Kappen, darum nennen wir sie unter uns ›Kappen‹), da kam neues Unheil über uns, tausendmal schlimmer als das vorige. Vor drei Wochen fing es an.«
Der Vorsitzende stützte nach Weiberart die Wange mit der Hand, seufzte und setzte dann seinen traurigen Bericht fort.
»Gegen Ende des Sommers, wenn das Gras unten hart wird, weiden wir unsere Schäfchen auf der Bergterrasse. Das Land dort ist auch unseres, im
agreement
verbrieft. Ein guter Platz, von der Steilwand durch einen Zaun geschützt. Eines Nachts plötzlich – pengpeng! – Schüsse. Ein Geballer wie im Krieg. Wir erschraken und schlossen uns in unsern Häusern ein. Da kam auch schon Chariton angelaufen, der Hirtenjunge. Am ganzen Leib hat er gezittert. Und sagte, aus der Dunkelheit sind Reiter gekommen, schwarze Tücher vor den Gesichtern, und haben losgeballert, er ist ihnen grade noch entwischt … Am Morgen haben wir uns ein Herz gefasst und sind hinaufgestiegen, da lagen die Schafe alle da, tot. Nur drei Lämmer fehlten, die haben die Räuber mitgenommen. Die übrigen habensie also aus reinem Übermut getötet. Hundertzwanzig Stück!« Lukow schluchzte auf. »Und ein Zeichen haben sie dagelassen: einen Stock mit einem Totenschädel darauf. Soll heißen: Kommt nicht wieder her, sonst bringen wir euch um … Und dann kam es noch schlimmer. Die Bergterrasse reichte ihnen nicht, sie haben es jetzt auch auf unser Haferfeld abgesehen. Am helllichten Tag sind sie gekommen, fünf Mann, schwarze Tücher vorm Gesicht, und haben den Hafer angezündet, der war schon reif. Die Schober verbrannt. Die Korndarre nahebei auch. Und haben wieder den Stock mit Totenschädel in die Erde gesteckt. Der Hafer, na gut. Aber gleich dahinter ist der Bach, das Wasser, unsere Viehtränke. Die Frauen haben Angst, ihre Wäsche zu waschen. Vor allem aber: Wie geht das weiter? Wenn die
gunfighter
die Grenze noch weiter verrücken, sind wir gänzlich verloren.«
»W-Wer?«, fragte Fandorin.
»Die
gunfighter
. Das sind die übelsten Kerle unter den Amerikanern. Mordgesellen, würden wir sagen. Beim geringsten Anlass feuern sie mit Gewehren und Revolvern nach allen Seiten. Wir haben uns schon beim Marshal, dem hiesigen Polizeichef, beschwert und ans Gouvernement geschrieben, alles umsonst. Einzig der Colonel hat uns Hoffnung gemacht. Ich schicke euch einen guten Mann, hat er gesagt, einen Russen. Der wird das regeln.«
Lukow sah Fandorin hoffnungsvoll an und sagte schmeichelnd: »Es wäre natürlich wünschenswert, dass Sie ohne
violence
und Blut auskommen. Aber wenn es friedlich nicht geht, werden wir Sie nicht verurteilen.«
»D-Danke.« Fandorin nickte gelangweilt. Der Fall schien ihm noch immer bedeutungslos zu sein.
Kusma Lukow wurde auf einmal unruhig.
»Moment mal, Sie sind ja allein. Diese Banditen aber sind viele. Mit denen werden Sie nicht fertig.«
»Ich bin nicht allein«, beruhigte ihn Fandorin.
Die Doppeltür des Saloons ging auf und ließ einen Mann mit ins Gesicht gezogenem Hut herein. Er trug zwei Revolver und hatte eine erloschene Zigarre im Mund. Es schien derselbe zu sein, der vorhin auf der Vortreppe des »führenden Geschäfts« gesessen hatte.
Einer der Spieler im karierten Hemd drehte sich nach dem Mann um.
»Grüß dich, Mel«, rief er freundlich in dröhnendem Bass. »Wo hast du gesteckt? Warst du verreist?«
Die Frage hatte nichts Besonderes. Aber der Mann, der Mel genannt worden war, knirschte, ohne den Stummel aus dem Mund zu nehmen, zwischen den Zähnen hervor: »Du fragst zu viel, Ruddy. Neugier ist lebensgefährlich.«
Ruddy lief rot an, sprang auf und machte mit der Rechten eine Handbewegung, als wollte er sich an der Hüfte kratzen, aber der Beleidiger warf ihm einen Blick zu, da zog der Spieler die Nase hoch und setzte sich wieder.
Fandorin staunte. Erstens über die unbegreifliche Aggressivität des Eingetretenen und zweitens über die Zaghaftigkeit von Mr. Ruddy, der durchaus fähig schien, für sich selbst einzustehen. Die Faust, in der er die Karten presste, hatte die Größe eines kleinen Kürbis.
Der Grobian ging lässig zur Theke, warf seinen Hut darauf und zeigte mit dem Finger auf eine der Flaschen. Sie wurde ihm gereicht, und er nahm sogleich einen Schluck. Und setzte sich auf einen Stuhl.
Die anderen hatten ihn schweigend beobachtet. Dann fragte der eine Falschspieler, der ein fadendünnes Schnurrbärtchen hatte, ungeduldig: »Gentlemen, spielen wir oder spielen wir nicht? Ich
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