Das Halsband des Leoparden
Sträßchen von Splitstone hieß selbstverständlich Broadway und begann beim Büro des Marshals, das auf dem Schild genannt war.
Ordnung muss sein. Fandorin betrat das ärmliche Gebäude und übergab dem Gesetzeshüter, einem widerlichen alten Zausel mit dunkelroter Nase, seinen Herstal. Der Marshal nahm den Revolver und krakelte sogar eine unleserliche Quittung hin, sah dabei aber höchst verwundert aus.
Diese sonderbare Reaktion wurde umgehend verständlich. Jeder Passant, den Fandorin aus dem Kutschenfenster erblickte, hatte ein Halfter umgeschnallt, selbst Halbwüchsige. Auf der Vortreppe eines Ladens mit dem Aushängeschild FÜHRENDES GESCHÄFTVON MELVIN SCOTT saß, die Füße auf dem Geländer, ein Mann mit einer erloschenen Zigarre im Mund, der hatte sogar zwei Revolver am Gürtel. Unter dem tief in die Stirn gezogenen Hut hervor blitzten zwei Augen, die den Fremdling direkt anguckten.
Im Übrigen war kein Mangel an Neugierigen, welche die schicke Equipage bestaunten. Männer mit breitkrempigen Hüten und Sporenstiefeln folgten ihr mit den Augen. Viele lehnten sich aus den Fenstern. Der Plan des Colonels schien aufzugehen – sein Vertreter wurde nach dem Äußeren beurteilt. Doch schweigend – die Gaffer sagten kein Wort, sie mahlten nur mit den Kiefern und spuckten von Zeit zu Zeit braunen Tabaksaft aus.
Der Kutscher brachte die Percherons in der Mitte des Fleckens zwischen den beiden größten Gebäuden zum Stehen, die auch aus Holz gebaut waren, doch etwas anspruchsvoller und mit Schmuckelementen. Das Haus zur Linken (Saloon »Indianerkopf«) hatte Säulen und kleine Balkons, und das rechte (Restaurant, Saloon und Hotel »Great Western«) bestach durch Farbenpracht, denn an seiner Fassade wehten vier Stars-and Stripes-Banner plus eine riesengroße Fahne des Staates Wyoming: ein weißer Bison auf blauem Grund.
Eingedenk des Versprechens, das Fandorin der roten Perle der Prärie gegeben hatte, gebot er Masa, die Koffer nach rechts zu tragen. Der Kutscher verabschiedete sich, wendete mühsam sein sperriges Gefährt, wobei er fast die Vortreppe eines der Saloons weggeschoben hätte, und rollte majestätisch aus der jämmerlichen »Stadt der Cowboys«.
Fandorin wollte eben seinem Diener auf die Vortreppe des »Great Western« folgen, da hörte er hinter sich eine Stimme: »Erast Petrowitsch? Herr Fandorin?«
Auf den Stufen des »Indianerkopfs« stand ein älterer Mann mit schmuddeligem schütterem Bärtchen, der blickte den Ankömmling freundlich lächelnd an. Auch wenn er nicht russisch gesprochen hätte, wäre seine Nationalität zweifelsfrei klar gewesen. Untereinem formlosen weißen Panamahut, wie er von Sommerfrischlern in Jalta getragen wurde, hingen auf bäurische Art geschnittene Haare hervor; die Tolstoi-Bluse war von einem gemusterten Riemchen umgürtet; die baumwollsamtenen Hosenbeine steckten in den rindsledernen Glattlederschäften von Stiefeln, wie sie in Amerika nicht hergestellt wurden.
Fandorin verbeugte sich leicht, da lächelte der Unbekannte noch freundlicher.
»Willkommen in unserer Gegend! Lukow, Kusma Kusmitsch, Vorsitzender der Gemeinschaft ›Lichtstrahl‹.«
Der Landsmann kam über die Straße getrippelt und reichte Fandorin die für einen Farmer erstaunlich weiche weiße Hand.
»Ich freue mich ja so! Wir haben sehr auf Sie gewartet. Heute bin ich in die Kreisstadt gekommen, um im Laden eine
delivery
abzuholen und im Telegraphenamt ein
cable
von unserm hochverehrten Mawriki Christoforowitsch. Seit dem Morgen warte ich schon auf Sie. Im Restaurant habe ich einen üppigen
lunch
bestellt, mit Wein, als Zeichen unserer Gastfreundschaft.« Mit einer ausholenden Geste wies er auf den »Indianerkopf«. »Bitte zu Tisch nach der Reise. Es gibt drei Gänge und auch Wein!«
Als Fandorin Anstalten machte, sich vor dem »üppigen lunch« zu drücken, geriet Lukow in Erregung.
»Aber nein, aber nein! Das wäre nicht nach unserer russischen Art! Ich habe ja schon im Voraus bezahlt, aus Mitteln der Gemeinschaft, die Leitung hat es sanktioniert für den teuren Gast.
Full course
, drei Gänge, mit Wein!«
Er betonte wieder den Wein, als glaubte er, alle Privatdetektive wären erpicht aufs Zechen. Womöglich war das Essen mit Wein eine ernsthafte Kostenfrage für die Kommune. Diese Erwägung gab für Fandorin den Ausschlag.
»Vielen D-Dank«, sagte er und folgte Lukow in den »Indianerkopf«, damit brach er sein gegebenes Wort und verzichtete auf dasköstliche japanische Mittagsmahl
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